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Die Pillenstory: Eine vergessene Revolution


Wir haben sie (fast) alle mal genommen. Und entweder hat sie nicht gewirkt oder wir setzten sie ab, auf jeden Fall sind wir jetzt hier und haben Kinder. Unsere Mütter haben dafür gekämpft, ihr Sexualleben "frei" ausleben zu dürfen. Die sexuelle Revolution haben sie geschafft, dank einer kleinen Pille.



Eine Dinnerparty Anfang 1951 in New York gilt als ‚Geburtsstunde’ der
Anti-Baby-Pille. Gastgeberin war die siebzigjährige Margaret Sanger, deren Erlebnisse als Krankenschwester sie zur weltweiten Protagonistin der Geburtenkontrolle gemacht hatten. Wichtigste Gäste sind ihre Freundin Katharine McCormick, unermeßlich reiche Witwe aus der McCormick-Familie, ebenso betagt wie Margaret Sanger und ebenso engagiert für Themen der Geburtenkontrolle und der Selbstbestimmung von Frauen, weiters der extrem kirchentreue Gynäkologe John Lock von der Harvard Medical School und sein Mitarbeiter Gregory Pincus, weltweit oberste Autorität für den weiblichen Anteil an der Fortpflanzung, sowie der Gynäkologe Abraham Stone. Bei dieser Party fragt Sanger den Forscher Pincus nach
dem Preis: „Was könnte es kosten, die Wissenschaft für die Suche nach einer perfekten Lösung für das Problem der Empfängnisverhütung einzuspannen?“ Obwohl Pincus weder garantiert, dass so etwas möglich wäre, noch die Dauer abschätzen kann, bemüht er sich um eine Antwort: „Für den Anfang 125 000 Dollar für Laborpersonal, Materialien und für das Sammeln und Überprüfen aller einschlägigen Informationsquellen aus der wissenschaftlichen Literatur.“ Das
Ergebnis ist bekannt: Die Antibabypille wurde entwickelt – für 2 Millionen Dollar aus dem McCormick-Vermögen.

Die erste wissenschaftliche Grundlage für die Entwicklung der Pille wird rund 100 Jahre zuvor gelegt: Theodor Bischoff in Deutschland und Felix Pouchet in Frankreich finden fast gleichzeitig heraus, dass die Eierstöcke in regelmäßigen Abständen spontan eine Eizelle freigeben. Die beiden nächsten wesentlichen Entdeckungen kommen dann aus Österreich: 1890 gelingt es Emil Knauer in Wien, durch Eierstockverpflanzungen an Kaninchen erstmalig die Wirkung von ‚Stoffen’ darzustellen, die später Sexualhormone benannt werden. 1919 beweist Ludwig Haberlandt in Innsbruck an Ratten, dass eine Schwangerschaft die Heranreifung weiterer Eizellen blockiert. In der Folge spekuliert er, ob ein Extrakt aus den Eierstöcken trächtiger Säugetiere geeignet wäre, auch beim Menschen die Empfängnis zu verhüten. Der Wiener Gynäkologe Otfried Otto Fellner bestätigt die
Ergebnisse Haberlandts mit eigenen Untersuchungen und unterstützt ihn in seinenBemühungen für eine ’hormonale Sterilisierung’, doch es fehlen noch alle pharmazeutischen Voraussetzungen und technischen Möglichkeiten. Ludwig Haberlandts Konzept gerät in Vergessenheit.

Wissenschafter der deutschen Pharmafirma Schering stellen im Jahr 1938 erstmals das Hormon Östrogen künstlich her, und schaffen damit eine Grundlage für die spätere Forschung, da man bis dahin Östrogene nur sehr teuer aus Menschen und Tieren gewinnen konnte. So war beispielsweise eine halbe Tonne Eierstöcke von Schweinen nötig, um 30 Mikrogramm Östrogen herzustellen – heute die Dosis einer
einzigen Pille. Natürliche Hormone waren nicht nur teuer in der Herstellung sondern nach oraler Aufnahme auch kaum wirksam, weil sie im Magen-Darm-Trakt abgebaut werden. Einem weiteren Österreicher gelingt diesbezüglich ein entscheidender Schritt: Der Wiener Walter Hohlweg verändert mit Kollegen bei Schering die
chemische Formel des Östrogens so lange, bis er ein oral wirksames gefunden hat.

Schnell wurde dieses Ethinylestradiol zum wichtigsten Östrogen in der oralen Kontrazeption und ist heute noch in allen (Kombinations-)Pillen enthalten. Ebenfalls 1938 synthetisiert dieselbe Forschergruppe das ‚Ethisteron’, die Basis für alle später entwickelten, hochwirksamen oralen Gestagene (Gelbkörperhormone) der ersten Generation. Weitere Entwicklungsarbeiten werden aber wie alle Verhütungsmittel im III. Reich verboten.

Auf all diesem Wissen kann Gregory Pincus aufbauen, als er sich ans Werk macht. Er will nachahmen, was im Körper der Frau natürlich abläuft: Unterdrückung des Eisprungs an fast allen Tagen des Monats, Zulassung eines Eisprungs nur an einem einzigen Tag. Dafür experimentiert er mit mehr als 200 Substanzen. 1953 entdeckt
sein Team die richtige Hormonverbindung, testet sie zunächst an Tieren. 1956 beginnen erste klinische Tests und 1957 wird die Pille ‚Enovid’ als Mittel gegen menstruelle Beschwerden und zur Förderung der Regelmäßigkeit der Abbruchsblutung in den USA zugelassen. Daß schließlich 1960 die Zulassung als hormonales Verhütungsmittel in den USA erfolgt, ist dem kirchentreuen John Lock zu verdanken. Er argumentiert, dass die Pille je nichts anderes tut als die Natur auch,
nämlich während einer gewissen Zeit den Eisprung zu unterdrücken. Auf sein Wort als Gynäkologieprofessor in Harvard bezüglich der Sicherheit und Unschädlichkeit der Pille baut die amerikanische Zulassungsbehörde FDA. Vier Jahre später nehmen bereits zwei Millionen Amerikanerinnen die ‚Pille’.

1961 bringt Schering die erste Pille mit dem vielsagenden Namen ‚Anovlar’ (‚kein Eisprung’) auf den deutschsprachigen Markt. Die Pille von Schering enthält aber im Gegensatz zur Pille aus den USA nur 50mg anstatt 150mg Östrogen (heutige Pillen haben einen Östrogengehalt von 20-30/ug).

Die Akzeptanz der Pille ist in Europa anfangs geringer als in den USA. Zum einen weil bei uns die ‚Spirale’ weiter verbreitet ist, zum anderen aus ‚moralischen’ Gründen: Die Pille wird in den ersten Jahren nur an verheiratete Frauen mit mehreren Kindern abgegeben. Geschlechtsverkehr vor der Ehe ist tabuisiert, braucht also auch
kein Verhütungsmittel. Darüber hinaus stößt die Pille auch bei manchen Männern auf Ablehnung, weil sie die Frau in Bezug auf Verhütung selbständig macht. Daher führt Schering die Pille als ‚Mittel zur Behebung von Menstruationsstörungen’ ein, unter dessen Nebenwirkungen die Unfruchtbarkeit während der Einnahme aufgeführt ist.

Aber nicht nur die Gesellschaft übt Kritik an der Pille, auch Ärzte, indem sie beschließen, die Pille nicht zu verschreiben. So kam es 1964 zum ‚Ulmer Manifest’, in dem 140 Ärzte und 45 Universitätsprofessoren die Pille verurteilen. Die katholische Kirche erlaubt die Pille als Medikament für Zyklusstörungen. Ob sie
auch für die Verhütung zugelassen wird, steht jahrelang auf des Messers Schneide.

Der kirchentreue Entwickler John Rock rechnet fest damit, denn die Akzeptanz der Zeitwahlmethode (nach Knaus-Ogino) - und damit die Trennung von Sexualität und Fortpflanzung - durch die Kirche habe den Weg vorgezeichnet. Die Pille würde nur fortsetzen, was die Natur im Monatszyklus bereits vorgegeben habe, nämlich durch die zeitweilige Ausschüttung entsprechender Hormone eine Schwangerschaft unmöglich zu machen. Nach vielen Diskussionen – in denen auch der Österreicher Hermann Knaus als Gutachter gehört wird (er war dagegen) - verbietet Papst Paul VI. 1968 in seiner Enzyklika ‚Humanae vitae’ die Pille. Heute ist sie das meistgenommene Präparat mit weltweit schätzungsweise 60 bis 80 Millionen regelmäßigen Pillenanwenderinnen.

Eine monatliche Regelblutung, wie sie von der Pille nachgeahmt wird, ist weder für die empfängnisverhütende Wirkung der Pille noch für die Gesundheit des Körpers erforderlich. Der künstliche 28tägige Monatszyklus wurde vielmehr von John Lock und Gregory Pincus eingeführt, um die Idee der ‚hormonellen Nachahmung der Natur’
deutlich zu machen und die Akzeptanz zu erhöhen. Nachdem die Entwicklung der letzten Jahrzehnte eine deutliche Reduzierung der Hormondosierung gebracht hat, geht der Zukunftstrend der Pille dahin, die monatliche Regelblutung auszulassen, die heutzutage von vielen Frauen als lästig und überflüssig empfunden wird.

Text: Verein Museum fuer Verhuetung und Schwangerschaftsabbruch



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