Von Handy-Eltern und Depro-Kindern
Der Shitstorm von letzter Woche erinnerte mich daran, dass eine ähnliche Eltern-sind-dauernd-am-Handy-Studie bereits vor zwei Jahren ein Thema war. Erinnern Sie sich?
«Eltern ständig am Handy – Kinder werden depressiv». So betitelte die Gratiszeitung reisserisch den Bericht über eine schwedische Studie. Es war weniger der Artikel selber, als die Kommentare dazu, die die (meine) Nerven strapazieren. Weshalb ich daran denken musste, dass wir ähnlich empörte Kommentare schon einmal lesen mussten. Nach dem Shitstorm von letzter Woche im 20 Minuten habe ich es mir deshalb einfach gemacht. Das Thema hatten wir nämlich schon am 10. Juni 2011. Deshalb hier der Text nochmal, denn ja, meine Meinung dazu hat sich auch nach zweieinhalb Jahren nicht geändert:
Wenn ich diese Zeilen fertig geschrieben habe, muss ich noch schnell einen dringenden Anruf erledigen, dann Wäsche falten und Abendessen kochen. Während dieser ganzen Zeit werde ich mich nicht mit meinen Kindern beschäftigen, geschweige denn, mit ihnen sprechen.
«Geht gar nicht!» meinte letzte Woche René Staubli auf diversen News-Kanälen. Der Journalist sollte eine deutsche Studie kommentieren, die besagt, dass Mütter mehr in ihr Handy als mit ihren Kindern reden. Leider ist in dem Artikel weder ein Link zur Studie zu finden, noch ist es ein ernst zu nehmender Kommentar. Herr Staubli versinkt im Pathos: «Die Kleinen müssen sich verloren vorkommen, denkt man, verunsichert, verzweifelt. Sie schaffen es einfach nicht, ihre wichtigste Bezugsperson für sich zu interessieren.» Im Ernst?
Interessieren Sie sich jede Minute Ihres Tages für Ihr Kind? Beschäftigen Sie sich rund um die Uhr mit den Sprösslingen? Sie ahnen es bereits: Ich nicht! Obwohl, «Kinder leiden unter den leeren Augen einer Mutter, die nur halb anwesend ist». «Sicherheit gibt ihnen nur eines: der enge emotionale Kontakt mit nahen Menschen.», Staubli O-Ton. An Letzterem gibt es nichts auszusetzen, emotionaler Kontakt ist für ein Kind lebenswichtig. Doch muss dieser Kontakt 24 Stunden am Tag gleich intensiv sein?
In meinem Bekanntenkreis gibt es Eltern, die ebenfalls meinen, Kinder müssten dauerbeschallt werden. Sie «kümmern» sich ohne Punkt und Komma um ihren Nachwuchs, es wird gefüttert, gespielt, vorgelesen, gerutscht, geklettert, gekuschelt, auf den Schoss gesetzt, bequasselt und erst wenn sie im Bett sind, scheinen Mama und Papa endlich mal Pause zu haben. Was für ein Stress! Wann erholen sich die Kleinen denn mal von der elterlichen Berieselung? Auch erst, wenn sie schlafen? Darf ein Kind nicht auch einfach mal Ruhe haben? Und Langeweile verspüren?
Es ist ja nicht so, dass die Generation unserer Eltern, als es noch keine Handys gab, wirklich präsenter für uns Kinder da gewesen wären. Und auch die Generationen davor nicht. Eine nicht repräsentative Umfrage ergab, dass Mütter sich auch früher – wenn nicht noch mehr als heute – ihre Freiräume schafften. Mütter, die gerne plauderten, hingen dabei halt nicht am Telefon, sondern luden ihre Freundinnen zu sich ein, derweil die Kinder sich alleine beschäftigen mussten. Dies scheint heute in unserer verbildeten, Ratgeber- und Theorie-geplagten Gesellschaft nicht mehr möglich zu sein. Oder wie erkläre ich mir einen Zweijährigen, der gleich nach dem Aufwachen mit Spielsachen am elterlichen Bett steht, weil er gefälligst mit Mami spielen will?
Ich wage zu behaupten, besagter Journalist, und seine vorwiegend männlichen Kommentatoren, haben nie sechs Monate lang 24 Stunden mit einem Baby verbracht. Zwölf mal täglich dieselben Aktionen, wickeln, füttern, herumtragen, um am nächsten Tag wieder von vorne zu beginnen... Wetten, sie würden alle auch gerne mal zum Handy greifen?
Es gibt viele Situationen, in denen wir uns nicht oder nur nebenbei um unsere Kinder kümmern: Waschen, kochen, Wäsche falten, staubsaugen, einkaufen, arbeiten und und und... Sollen wir das alles ebenfalls bleiben lassen, weil sonst der Kontakt zum Nachwuchs leidet? Warten wir doch einfach ab, bis sich die Kinder mit ihren eigenen Handy rächen und UNS vernachlässigen!
Was meinen Sie? Hängen wir zu viel am Smartphone und Co. oder ist das wieder einmal eine dieser Studien, die uns ein schlechtes Gewissen einreden wollen?
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