Direkt zum Hauptbereich

Gottes vergessene Töchter





Hierzulande ist die Freude über ein Kind meist gross, egal ob Junge oder Mädchen. Ein neuer Roman zeigt, wie katastrophal sich das falsche Geschlecht in Indien auf eine Geburt auswirken kann.


Für arme indische Familien ist ein weiteres Mäulchen, das gefüttert werden muss, immer schwer zu verkraften. Handelt es sich dabei um eine Tochter, artet das Mäulchen zur untragbaren ökonomischen Belastung aus. 

Die Kanadierin indischer Abstammung Shilpi Somaya Gowdas beschreibt in ihrem Debutroman «Geheime Tochter», der endlich auf deutsch erscheint, die Geschichte der Bäuerin Kavita, deren erstgeborene Tochter genommen und getötet wird. Um ihrem zweiten Kind – wieder ein Mädchen – dieses Schicksal zu ersparen, gibt sie es gleich nach ihrer Geburt schweren Herzens in ein Waisenhaus in Mumbai. 

Gleichzeitig beschliesst in Kalifornien die junge Frauenärztin Somer nach zwei Fehlgeburten ein Kind zu adoptieren. Da ihr Mann indischer Abstammung ist, entscheidet sich das Paar für ein Kind aus Indien. Der Kreis schliesst sich: Dieses Kind wird Kavitas zweite Tochter Asha, deren Name «Hoffnung» bedeutet. 

Die 20 Jahre, die im Roman umschrieben werden, gewähren einen faszinierenden Blick auf die indische Gesellschaft: Vom schweren Leben auf dem Land über das Vegetieren in den Slums von Bombay, von der Existenzangst der ärmeren Mittelschicht bis hin zum Leben im Wohlstand der gehobenen Klassen. 

Die unterschiedlichen Kulturen der beiden Frauen werden dank wechselnder Perspektive spannend dargestellt. Die kühle Mentalität der Amerikaner gegenüber der familienzentrierten Kultur in Indien. Ashas kindliche Perspektive ist ein weiterer Erzählstrang, der gerade in solchen Geschichten oft zu kurz kommt. 

Diese macht sich als junge Frau nämlich auf die Suche nach ihrer Vergangenheit und stellt damit beide Familien auf eine harte Probe. Dieses Aufeinandertreffen unterschiedlicher Kulturen macht den klugen und emotional geladenen Roman absolut lesenswert. Wie Gowda im Anhang ausführt, werden in Indien pro Jahr eine halbe Million Mädchen abgetrieben oder getötet . Was man schon oft gehört und gelesen hat, nimmt in Form einer Familiengeschichte noch mal andere Formen an und hinterlässt viele Fragen darüber, wie wir selber handeln würden. 

Shilpi Somaya Gowda: Geheime Tochter, Kiepenheuer & Witsch Verlag

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Das Allerwichtigste

    Als ich mir überlegt habe, was ich nach all den Jahren hier mit euch teile, war das erste Thema ziemlich klar: Was ist das Wichtigste für dich als Mutter? In der Schwangerschaft, bei der Geburt, als die Kinder klein waren und heute? War es immer dasselbe? Natürlich sind die Kinder das Wichtigste, die Partnerschaft, eine gewisse Sicherheit, auch finanziell. Aber das meine ich nicht.  Was hat dir das Überleben als Mutter sozusagen gesichert? Wie hast du die langen Tage geschafft, den wenigen Schlaf gemeistert, den Frust, die Sorgen, die Selbstzweifel? Na?  Ich kann ja nicht für alle reden, aber bei mir waren es - abgesehen von meinem Mann - ganz klar: die Frauen in meinem Leben. Meine Freundinnen. Ohne die ich wohl früher oder später wahlweise abgehauen, durchgedreht oder zusammengebrochen wäre. In dieser oder einer anderen Reihenfolge.  Meine Freundinnen sind mein Fels in der Brandung. Mein Punching Bag. Meine Klagemauer. Es sind Mütter von älteren, aber auc...

Die Hormonhölle

  Wer mich bzw. Rabenmutter (Blog und Buch) noch nicht kennt, braucht für diesen Text eine kurze Orientierung: Bei Sassines sind wir 2 Männer (Vater und Sohn, 21) und zwei Frauen (Tochter, bald 17, und ich). Soviel zur Demografie des Hauses. Als mein Sohn in die Pubertät kam, gab es schwierige Zeiten. Wir sind uns sehr ähnlich, will heissen, wir sagen, was ist. Sowohl im Positiven, wie aber auch im Negativen. Wenn uns also etwas nicht passt, meckern wir genauso, wie wir spontan «Ich liebe dich» sagen können. Jedoch gab es Zeiten, da war es kein meckern mehr, vielmehr gingen wir uns regelmässig an die Gurgel mit ausgewachsenen Wutanfällen, die einem Orkan ähnelten. Sowohl in der Kraft, als auch in der Lautstärke. Diese endeten jeweils mit einem Türenschletzen seiner- und einer Putzaktion meinerseits (Ich putze nicht gerne, ausser ich bin wütend. Meine Laune lässt sich also direkt an der Sauberkeit unseres Hauses messen.) Die anderen zwei Sassines, Vater und To...

Wenn nichts mehr geht - knapp am Burnout vorbei

Monatelang stand ich unter Strom. Dann kam der Stromausfall. Wie ich an einem Burnout vorbeirasselte… Das Hirn läuft auf Hochtouren.  Verträge aushandeln . Kuchen backen für diverse Schulevents. Den Grossen zur Töffliprüfung fahren. Hat mein Mann jenen Termin gesehen? Nochmal überprüfen. Die Grossmutter zum Arzt begleiten. Schon wieder ein Mail von diesem Geschäftspartner, dessen niveauloser Ton an Trump erinnert. Und noch ein Problemfall mit Kunden, den wir zwar nicht verschuldet haben, aber ausbaden müssen. So sahen meine letzten Monate aus. Eure vielleicht auch.   Weiterlesen auf Any Working Mom. ( Photo by  Dingzeyu Li  on  Unsplash )