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Das angebliche Ticken

Die biologische Uhr ist kein sexistisches Cliché, darüber ist sich die Wissenschaft heute einig. Unklar ist jedoch, woher der dringende Babywunsch kommt, ob tatsächlich die Biologie oder doch mehr das Umfeld Schuld daran sind. 

Es kommt plötzlich, ohne Vorwarnung: Dieses Gefühl, jedem Baby nachschauen zu wollen, nur noch schwangere Frauen zu sehen und zu denken, dass ein Mann mit Tragetuch wahnsinnig sexy ist. Man hört sie nicht, spüren kann man sie auch nicht, doch offenbar tickt sie, die biologische Uhr, die wir Frauen angeblich innehaben und deren Alarm uns irgendwann aus dem kinderlosen Schlaf zu holen droht. Für viele fühlt es sich deshalb auch mehr wie eine biologische Bombe an, als eine harmlose Uhr. Und die, die das Ticken nicht verspüren und gar keine Kinder wollen, gelten nur als halbe Frauen, wie man auch heute auf slate.com lesen kann.

Die 28-jährige Journalistin Tracy Clark-Flory beschreibt das ihren Babywunsch auf salon.com als Sehnsucht, «ein Zucken in den Eierstöcken, ein Jucken in den Armen, die etwas wiegen möchten» und fragt sich, ob das Cliché wirklich eines ist oder ob es wissenschaftliche Erkenntnisse darüber gibt.

Die gibt es und auch wieder nicht. So fand Anna Rotkirch, Direktorin des Population Research Institute in Finnland, in einer neuen Studie heraus, dass sich dieser Wunsch Ende 20 am häufigsten manifestiert. Es gibt aber auch Frauen, die das Baby-Fieber bereits als Teenager mehr oder weniger packt. Die Studienteilnehmer – denn ja, sie befragte auch Männerbeschrieben ihren Babywunsch als «schmerzhafte Sehnsucht in meinem ganzen Dasein», auch von «leeren Armen» und «schmerzenden Brüsten» ist die Rede. Interessant dabei ist, dass die tickenden Uhren nicht ausschliesslich weiblich sind: Nebst 78% der Teilnehmerinnen, sagten 58% der Männer aus, sie fühlten den «starken Wunsch nach einem (eigenen) Kind».


Die Frau im Default-Modus
Woher
dieses Verlangen kommt, ist derweil noch nicht geklärt. Rotkirch bestätigt eher einen hormonellen Zusammenhang, als dass sie das soziale Umfeld dafür verantwortlich machen will. Es gehe mit höchster Wahrscheinlichkeit darum, das die Frau evolutionsbiologisch einen sogenannten «Default»-Modus innehat, der ihrem Körper vorschreibt, spätestens kurz vor ihrem 30sten Geburtstag schwanger zu werden und ihre biologische Rolle als Mutter wahrzunehmen.
Für die, denen die evolutionsbiologischen Erklärungen zu sehr nach «Jäger und Sammlerin» schmecken, hat die finnische Studie eine weitere, ebenso nachvollziehbare Erklärung: Ende zwanzig nimmt die weibliche Fertilität ab, weshalb uns der Körper einfach signalisiert, wir sollen jetzt endlich vorwärts machen. Das macht zwar sicherlich Sinn, der wissenschaftliche Beweis dazu fehlt jedoch gänzlich.

Und was ist mit den Männern? Wieso erleben Sie das Baby-Fieber, obwohl ihre Fruchtbarkeit noch lange nicht abnimmt? Gary Brase, Psychologie-Professor an der Kansas State University, muss zugeben: «Wir wissen es nicht.»

Ursache: Erziehung?
Der Babywunsch ist aber nicht nur ein Nebenprodukt hormonaler Veränderungen, so Anna Rotkirch, auch sich verlieben, zusammenziehen oder einfach das Zusammensein mit Kindern können den Lautstärkenhebel des Tickens in die Höhe schnellen lassen. Ganz zu schweigen von den vielen Promis, die uns ihre schwangeren Bäuche und frischgeborenen Kinder vor die Linse halten. Eine Studie in Schweden hat ausserdem bereits 2010 gezeigt, dass Frauen oft schwanger werden, nachdem Arbeitskolleginnen oder Freundinnen ihnen das «vorgemacht» haben. Auch werden Mädchen in den meisten Familien immer noch – meist unabsichtlich – dazu erzogen, «Mami» zu spielen, was den Verdacht nahelegt, das sie beeinflusst wurden. Einzig da widerspricht Brase, der das Thema seit über zehn Jahren untersucht, «Der Wunsch nach einem Baby hat keinen Zusammenhang mit den zugeteilten Geschlechterrollen.»

Es ist also weder eine Frage des Geschlechts, noch des Umfelds - zumindest nicht nur. Auch ist die Evolution nicht alleinige Verantwortliche, schliesslich verspürt nicht jede Frau diese Sehnsucht nach einem Baby. Doch gerade auch für sie wäre es nützlich, wenn die Wissenschaft endlich eine Erklärung für das mysteriöse Ticken dieser angeblich biologischen Uhr hätte. Dann müssten sie nämlich nicht mehr mit dem Vorwurf leben, bloss halbe Frauen zu sein. Denn jede tickt anders, auch Frauen Ende 20.

 

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