Krippenkinder sind....

Eine Studie will Beweise für die negativen Auswirkungen von Kinderkrippen auf die Sozialkompetenz der Kinder haben. Wieso man auch diese besser ignoriert.

«Studien zeigen: Krippenkinder sind agressiver» So titelte Der Sonntag gestern und entfachte einen Sturm im Wasserglas. Und das bei einem Thema, das sowieso schon die Gemüter erhitzt, Mütterkriege mit Waffen versorgt und das dem Wort «Rabenmutter» einer neuen Hochkonjunktur unterzieht. 
  Kurz zur Studie: Die Studie bestätige, dass Krippenkinder nicht per se schlauer, früher entwickelt und sozial kompetenter seien. «Im Gegenteil: Vor allem bei Kindern, die schon früh, also im ersten Lebensjahr, während mehr als zehn Wochenstunden in einer Kindertagesstätte (Kita) betreut werden, leiden das soziale Verhalten und die psychische Gesundheit.

Das haben Wissenschafter rund um den Engländer
Jay Belsky, heute Psychologieprofessor an der University of California in Davis, USA, mit einer gross angelegten, inzwischen 15 Jahre andauernden Langzeitstudie belegt. «Eine geringfügige Verbesserung in kognitiven Fähigkeiten wie Spracherwerb oder Lesenlernen» attestiert Belsky den untersuchten 1300 Kindern. Zugleich aber auch «vermehrt Aggressivität, unangepasstes Risikoverhalten und soziale Auffälligkeiten».

Genauso undifferenziert, wie de Behauptung Krippenkinder seien «per se schlauer, früher entwickelt und sozial kompetenter», ist die Behauptung «Krippenkinder sind aggressiver.» Soziale Kompetenz kann geübt werden. Eltern können ihrem Kind Voraussetzungen dafür schaffen, dass ein Kind mit anderen Kindern interagiert und so lernt, dass sich die Welt nicht nur um sie dreht. Das geschieht entweder zu Hause, an Nachmittagen mit Gspänli, in der Spielgruppe oder eben in der Krippe. Wenn die Eltern dabei sind, geht man einfach davon aus, dass das Kind also besser lernen soll, wie soziale Kompetenz funktioniert und entsprechend einen weniger aggressiven Charakter entwickelt?

Meine Erfahrung zeigt, wenn schon, das genaue Gegenteil. Tatort Spielplatz: Mamis, die andere Mamis belehren, ihr Leon solle doch bitte die kleine Lea nicht mit Sand bewerfen, obwohl Lea den «aggressiven» Leon seit 10 Minuten damit nervt, dass sie seine Schaufel will und er sie trotz verbalen Versuchen nicht zur Vernunft bringen konnte. Also wirft er mit Sand, einfach weil er entnervt ist. Ein entnervtes Kind. Doch keiner sagt der kleinen Lea, dass sie einfach eine rechthaberische Zicke ist, die doch bitte mit ihrer eigenen Schaufel spielen soll. In der Krippe würde man ihr das beibringen. Zumindest in einer guten. 

Und da liegt eben genau das Problem, das geben sogar jene zu, die oben genannte Studie unterstützen: Carola Bindt, Kinderpsychiaterin der Universität Hamburg erklärte dem Sonntag, die Krippen müssten nicht abgeschafft, sondern verbessert werden. Nicht nur ausgebildetes Personal, sondern vor allem kinderliebende Betreuer/innen seien gefragt. Denn Kinderkrippen kann man natürlich nicht einfach schliessen. Sie findet auch, dass Mütter, die auf «Fremdbetreuung» angewiesen seien, ihr plagendes schlechtes Gewissen nicht unnötig strapazieren sollten. Ja, wie denn, bitte schön, wenn dauernd solch pauschal mediatisierte Artikel zu lesen sind?

Deshalb wird jetzt an diesem Thema gearbeitet: «Was macht eine gute Krippe aus? Das wollen die Jacobs-Stiftung und der Verband Kindertagesstätten der Schweiz (KiTaS) endlich klar definieren: Sie erarbeiten bis 2013 ein umfassendes Qualitätslabel für die rund 1000 Kindertagesstätten der Deutschschweiz.» so der Sonntag weiter. Gut so.

Jay Belkin, der diese Studie mit dem reisserischen Aufmacher herausgebracht hat, ist übrigens für seine polemischen und reisserischen Aussagen bezüglich fremdbetreuter Kinder bekannt. Bereits 2001 beschwerten sich Kollegen, er suche dauernd «das Scheinwerferlicht und mache alarmierende Aussagen, die seine Studien gar nicht so klar hervorbrächten, wie er das behaupte». Eine Studie ist eben immer nur soviel wert, wie das erwünschte Ergebnis, dass der Auftraggeber in seiner Agenda hat. Sonst würden die positiven Aspekte genauso thematisiert, nämlich «Verbesserung in kognitiven Fähigkeiten wie Spracherwerb oder Lesenlernen». Oder haben Sie das etwa nicht gelesen?

Kommentare

Katharina hat gesagt…
Hat "Der Sonntag" es jetzt nötig, Uraltstudien aufzuwärmen? Belskys Resultate stammen von 2007 (da im Artikel keine Quellenangaben gemacht wurden, gehe ich jetzt einfach mal davon aus, dass es sich um jene Studie handelt, die damals recht viel Staub aufgewirbelt hat).
Aus dem Kopf gekratzt stellte Belsky tatsächlich fest, dass je früher und je länger ein Kind in einer Institution untergebracht wurde, desto tendenziell eher können Verhaltensprobleme auftauchen ("können", nicht "müssen").
ABER (und das haben die Journis irgendwie überlesen? Oder kann man nicht so schön polemisieren wenn man es erwähnt?): Die Betreuungsdauer korreliert mit dem Faktor "soziale Verhältnisse"; d.h. man kann schlussendlich nicht sagen ob das Kind wegen der Krippenbetreuung Verhaltensauffälligkeiten zeigt oder wegen des Grundes, weshalb es 5 Tage lang familienextern betreut wird (Scheidungsfamilie, Alleinerziehend, wirtschaftliche schwierige Verhältnisse,......)

Also bitte nicht wieder "den Forschern" oder "der Studie" die Schuld in die Schuhe schieben wenn einmal mehr ein Journi Mist gebaut und den Text nicht richtig gelesen hat!
Stefi hat gesagt…
Solche Studien sind schön und gut, und solche Pauschal-Aussagen sogar noch besser. Sie lassen bei mir nämlich viele Fragen offen. Etwa bei besserer "sprach- und lesefähigkeiten": muss ich daraus schliessen, dass eine Krippe als Vorschule geführt wird und man schon da mit Lesen und Schreiben anfängt? Wenn ja: Logisch, wenn das Kind dann agressiver wird, es kann ja nicht seine sozialen Fähigkeiten ausleben, sondern muss Lesen und Sprechen.
Weder bei den positiven noch den negativen Argumenten sehe ich erwähnt, WIE die jeweiligen Betreuungsinstitutionen geführt werden. Ich würde mein Kind längst nicht in jeder Kita zur betreuung geben. Wählt man die "richtigen" Krippen aus, so kann man jedes Resultat nachweisen, das man möchte.
Was ich in jedem Fall betonen möchte: Krippenkinder deren Eltern keine Wahl haben (Alleinerziehend, minimales Einkommen bei 2 Haupterwerbstätigen Eltern, etc.), sollten besser unterstützt werden. Und diese Kinder haben oftmals sogar das Glück, dass sie in einer gut geführten Kita in einem stabilen Umfeld aufwachsen können, während die Eltern vielleicht mit der ganzen Situation mehr oder weniger überfordert sind.

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