Eltern im Laufgitter

Links will man mehr Betreuungsplätze, rechts befürchtet man eine Bevormundung der Eltern durch den Staat. Kann es sein, dass es nur schwarz oder weiss gibt? Muss mir so oder so jemand vorschreiben, wie ich mein Leben zu leben, meine Kinder zu erziehen habe? Befinden wir uns im Laufgitter oder gar im Laufrad? Dazu ein sehr interessanter Artikel aus der NZZ Online.

In den letzten zehn, fünfzehn Jahren hat sich die Situation für die berufstätigen Mütter und Väter in der Schweiz in bemerkenswerter Wei
se verbessert. Immer mehr Unternehmen bieten familienfreundliche Arbeitsmodelle an, zudem sind in hohem Tempo im ganzen Land neue Krippen und Tagesschulen entstanden, welche den Eltern den Spagat zwischen Familie und Beruf erleichtern. Damit einhergegangen ist ein Mentalitätswandel, der namentlich für die Frauen eine moralische Unterstützung bedeutet: So gilt heute nicht mehr als Rabenmutter, wer aus eigenem Antrieb oder der finanziellen Not gehorchend erwerbstätig ist. Vielmehr wird es mittlerweile als normal angesehen, dass eine Mutter weiterhin mit einem Bein in der Arbeitswelt steht.

In der zweiten Reihe

Die Politik hat sich auf das lange verschlafene Thema der Vereinbarkeit von Familie und Beruf gestürzt wie kaum auf ein anderes zuvor. In zahlreichen Kantonen und Gemeinden wurde erfolgreich Druck gemacht für den Ausbau der familienexternen Betreuung, und obschon es sich dabei um eine sehr lokale Angelegenheit handelt, hat selbst der Bund Gelder für die Krippenfinanzierung bewilligt. Mit der geplanten Harmonisierung der Volksschule soll ein weiterer Pflock eingeschlagen werden, indem die Kantone für die Schulkinder künftig eine fakultative und kostenpflichtige Tagesbetreuung ausserhalb der Unterrichtszeiten anbieten müssen.

Durch solche Hilfestellungen sind die heutigen Mütter und Väter ungleich freier als die früheren Generationen, ihr Familienleben nach eigenem Gutdünken zu gestalten. So weit, so gut, könnte man meinen. Allein, diese positive Entwicklung droht allmählich ins Gegenteil zu kippen, der Zugewinn an persönlicher Freiheit verloren zu gehen. Denn immer stärker wird der Druck, dass der Staat den Familien nicht nur Unterstützung anbieten, sondern sich gleichzeitig auch verstärkt in die Erziehung und Betreuung der Kinder einmischen soll. Immer mehr werden gesellschaftliche Leitmodelle propagiert, in denen der ausserfamiliären Fürsorge eine zentrale Rolle zukommt und die Eltern zunehmend in die zweite Reihe verwiesen werden.

So verlangt etwa die SP, dass sämtliche Kinder Ganztagesschulen besuchen, welche die Eltern nichts kosten sollen. Zudem will sie die Krippen zu eigentlichen «Bildungsorten» mit staatlichen Lehrplänen für Kleinkinder umfunktionieren. Weiter sollen bereits dreijährige Knirpse aus Ausländerfamilien oder aus «bildungsfernen» Schichten in obligatorische Sprachkurse geschickt werden, wie es der Kanton Basel-Stadt im Rahmen eines umfassenden Programms plant. Ins selbe Horn stösst die Eidgenössische Kommission für Familienfragen, welche die Kindertagesstätten ebenfalls zu Vorschulen ausbauen will. Anliegen dieser Art werden auch auf bürgerlicher Seite oft leichtfertig übernommen. So haben sich beispielsweise zahlreiche freisinnige Parlamentarier dafür ausgesprochen, dass der Bund die Kantone zur Schaffung von Staatskrippen verpflichten soll, weil Betreuungsplätze immer noch Mangelware seien – eine Mär, wie sich bei näherem Hinsehen zeigt, die aber völlig unkritisch weiterverbreitet wird.
Krippen, Krippen über alles

Begründet wird dieses staatliche Ausgreifen nicht mehr primär mit der besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sondern neu mit der Förderung der Kinder – ein verführerisches Argument, denn wer will sich in unserer auf Bildung fokussierten Zeit schon gegen Förderung stellen? Dennoch sollte man auch hier nicht jeder Idee einfach blindlings aufsitzen. So mag der Vorschlag, die Krippen zu Bildungsinstitutionen auszubauen, in denen Babys und Kleinkinder künftig nach Lehrplan «pädagogisch» betreut werden, auf den ersten Blick etwas für sich haben und das schlechte Gewissen vieler Eltern, die ihre Sprösslinge dort abgeben, etwas beruhigen. Spätestens auf den zweiten Blick melden sich aber Zweifel, ob den Kindern mit der angestrebten Frühpädagogisierung wirklich besser gedient ist als mit einer vernünftigen altersgerechten Betreuung, wie sie in einer Krippe selbstverständlich sein sollte.

Klar ist auf jeden Fall, dass auf diese Weise ein neuer, aufwendiger Bildungsapparat geschaffen würde, der nicht mehr den Einsatz von «einfachen» Kleinkindererzieherinnen, sondern neu von speziell geschulten Pädagoginnen erforderte und daneben auch zahlreichen Erziehungsexperten, Sozialarbeitern und Bildungsfunktionären neue Beschäftigungsmöglichkeiten bieten würde. Es liegt auf der Hand, dass eine solche kostenintensive «Professionalisierung» des ohnehin schon stark reglementierten Krippenwesens zu einem Grossteil über Steuergelder finanziert werden müsste.

Auffällig ist zudem, dass die Betreuung der Kinder in der Krippe oder in der Tagesschule nicht nur von übereifrigen Familienpolitikerinnen, sondern auch von offizieller Seite zunehmend als die für das Kind beste Lebensform angepriesen wird – seine kognitiven und sozialen Kompetenzen werden dort angeblich am besten gefördert. Diese Haltung ist nicht nur anmassend und ein Affront gegenüber all jenen Müttern und Vätern, die ihre Kinder in der Geborgenheit des Elternhauses aufwachsen lassen. Die Fokussierung auf die institutionelle Fremdbetreuung ist auch deshalb fragwürdig, weil es für berufstätige Eltern noch andere, keineswegs schlechtere Lösungen gibt, den Nachwuchs beaufsichtigen zu lassen – sei es durch die Grosseltern oder Bekannte, eine Kinderfrau oder nachbarschaftlich organisierte Mittagstische. Gerade solche privaten Lösungen werden aber von behördlicher Seite zunehmend erschwert. So werden den Eltern immer mehr Steine in den Weg gelegt. Der Eindruck drängt sich deshalb auf, dass es in der ganzen Diskussion nicht in erster Linie um das Wohl des Kindes geht, sondern darum, dass der Staat mehr und mehr Einfluss auf die Erziehung ausüben soll.
Uferloser Ausbau

Ein zentraler Punkt in der ganzen Debatte betrifft die Chancengleichheit. So wird argumentiert, dass sich der Staat noch sehr viel entschlossener als heute engagieren und eingreifen müsse, um Kindern aus sozial benachteiligten Familien dieselben Chancen zu geben wie solchen aus einem behüteten Elternhaus, wenn nötig auch mit Druck und Zwang. Diese Forderung mag als sozial «gerecht» erscheinen. In Tat und Wahrheit kommt sie aber einem Freipass für einen uferlosen Ausbau des Erziehungsstaates gleich und öffnet Kontrollen des Familienlebens Tür und Tor.

Wohlverstanden: Es ist richtig, dass Eltern und Kinder mit besonderen Problemen im Rahmen der Schule, aber auch darüber hinaus, vielfältige Unterstützung in Anspruch nehmen können; auch soll mittels Jugendamt eingeschritten werden, wenn Kinder vernachlässigt werden. Ein freiheitlicher Staat darf indes nicht alle Familien in ein einheitliches Schema zwingen, wie es linke Kreise mit ihrer «Tagesschule für alle»-Forderung anstreben. Er darf die Unterschiede zwischen jenen Eltern, die ihren Kindern – von Aufgabenhilfe über Ernährung bis hin zur Freizeitgestaltung – möglichst beste Bedingungen bieten wollen, und den anderen, die an ihrem Nachwuchs nicht gross interessiert sind, nicht beseitigen. Wollte er dies tun, müsste er die Erziehung zu seiner Aufgabe erklären und nach dem Vorbild der DDR alle Kinder in Krippen, Tagesschulen und gleich auch noch ins Ferienlager schicken.

Es erstaunt, auf wie wenig Widerspruch die zunehmende Zurückbindung der Familien bis anhin gestossen ist. Fast scheint es, als ob viele Mütter und Väter froh darüber wären, wenn die Fürsorge für ihre Kinder immer mehr in dritte Hände überginge und sie sich nur noch kurz am Abend oder allenfalls am Wochenende mit ihnen beschäftigen müssten – Kinder als familiäre Accessoires sozusagen, die die eigene Bequemlichkeit nicht stören dürfen. Diese Tendenz passt zum Abbau an Eigenverantwortung und Freiheit, wie er in der Gesellschaft allgegenwärtig ist. Im höchstpersönlichen Bereich der Familie ist diese Entwicklung besonders verheerend, weil sie zur Schwächung und letztlich Auflösung der engsten menschlichen Beziehungen führt.

Wie steht ihr zum Thema?


Kommentare

Anonym hat gesagt…
Ich glaube nicht, dass die Schweiz uns irgendwann vorschreiben wird, dass wir unsere Kinder vor Schulbeginn "fremdbetreuen" lassen müssen. So funktionieren wir Schweizer einfach nicht. Aber die Möglichkeit dazu sollte uns der Staat schon geben. Ansosnten frage ich mich wirklich, wieso Frauen überhaupt noch studieren sollen...

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