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Sind Krippenkinder schlauer?

Die Bildungschancen von Kindern steigen deutlich, wenn sie in eine Krippe gehen. Gerade benachteiligte Familien profitieren, zeigt eine neue Studie. Die klare Botschaft: Schluss mit den "Rabenmütter"-Schmähungen, gute Kinderbetreuung lohnt sich - auch für den Staat.

Von Katrin Schmiedekampf für Spiegel Online

"Was? Dein Kind ist nicht mal zwei Jahre alt und geht schon in die Krippe?" Diesen Satz muss die Osnabrücker Studentin Yasmin* sich immer wieder anhören. Viele ihrer Freunde und Bekannten können einfach nicht verstehen, dass die 23-Jährige ihren kleinen Sohn schon so früh in fremde Hände gibt - nur weil sie studieren will. Und schon gilt Yasmin als Rabenmutter: Es schade doch dem Kind, für mehrere Stunden am Tag von seiner Mama getrennt sein.

Wirklich? Eine neue Untersuchung zeigt: Es schadet nicht, es nützt. Denn Kinder, die eine Krippe besuchen, haben später deutlich höhere Bildungschancen. Das ergab eine Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung. Schweizer Forscher untersuchten die Bildungskarrieren von über tausend Kindern, die zwischen 1990 und 1995 in Deutschland geboren wurden. Sie waren alle zwischen wenigen Monaten und drei Jahren alt. In diesen Jahrgängen besuchten lediglich 16 Prozent der Kinder Krippen, die meisten erst ab dem Alter von zwei Jahren.

"Es kommt natürlich immer sehr auf das Kind an. Aber grundsätzlich ist es für einen Zweijährigen gut, mehrmals in der Woche in eine Krippe zu gehen, wenn die Betreuer erfahren sind und nicht überlastet", sagte Tobias Fritschi SPIEGEL ONLINE. Er ist überzeugt: Durch das Spiel mit Gleichaltrigen lernen Kinder viel. Fritschi hat zusammen mit seinem Kollegen Tom Oetsch vom Schweizer Büro für Arbeits- und sozialpolitische Studien die Studie "Volkswirtschaftlicher Nutzen von frühkindlicher Bildung in Deutschland" geschrieben.

Der Bildungsstand wird "weitervererbt"

Die Ergebnisse: Die Erziehung von Kleinkindern hat einen hohen Einfluss auf den späteren Bildungsweg. Es zeigte sich, dass gut die Hälfte der Krippenkinder den Sprung aufs Gymnasium schafft, von den Nicht-Krippenkindern gelang das nur etwas mehr als einem Drittel.

Vor allem Kinder aus sozial benachteiligten Familien profitieren demnach von einer Krippenerziehung. So liegen bei in Deutschland geborenen Migrantenkindern der sogenannten "zweiten Generation" die Chancen auf einen Platz auf dem Gymnasium ohne Krippenbesuch bei etwa 17 Prozent, mit Krippenbesuch bei knapp 27 Prozent - eine beachtliche Kluft. Noch deutlicher ist der Unterschied bei Kindern, deren Eltern auf der Hauptschule waren: Der Krippenbesuch erhöhte die Wahrscheinlichkeit, den Sprung aufs Gymnasium zu schaffen, von 11 auf 20 Prozent.

Positive Effekte zeigten sich allerdings in allen Gruppen. So haben die Eltern der meisten Kinder, die aufs Gymnasium kommen, früher ebenfalls das Gymnasium besucht. Klare Sache: Die Bildung der Eltern hat den größten Einfluss auf die Schulkarriere. Der Bildungsstand werde "vererbt", sagen die Schweizer Forscher, und das zeigen auch andere Studien. Aber auch hier spielt der Krippenbesuch offenbar eine Rolle - um immerhin ein Viertel (von 61 auf 76 Prozent) stieg die Wahrscheinlichkeit, dass diese Kinder den höheren Bildungsweg einschlagen.

Die Bereitschaft, ein Kind betreuen zu lassen, ist bei bildungsfernen Familien schwächer. Von den tausend untersuchten Kindern stammte nur jedes 20. aus einem Elternhaus, in dem beide Eltern einen Haupt- oder überhaupt keinen Schulabschluss haben. Tobias Fritschi: "Es kann viele Gründe dafür geben, dass sie ihre Kinder nicht in die Krippe schicken. Vielleicht fehlt das Geld, vielleicht liegt es aber auch an der höheren Arbeitslosigkeit - die Eltern kümmern sich um ihre Kinder, weil sie selbst zuhause viel Zeit verbringen."

Rabenmütterdebatten als Glaubenskrieg

Fritschi kündigte an, dass "wir werden noch eine weitere Studie machen werden, in der wir herausfinden wollen, wie viel Zeit die Kinder jeweils in einer Krippe verbringen - und welchen Effekt Kindergartenbesuche auf die spätere Schullaufbahn haben".

Die Untersuchung fügt sich ein in eine intensive gesellschaftliche Debatte über die richtige Betreuung von Kindern und Ursula von der Leyens Krippenausbau, über "Herdprämien", "Wickelvolontäre" und die "Verstaatlichung" von Kindern, über die angebliche Degradierung von Frauen zu "Gebärmaschinen" durch Krippenerziehung (so der katholische Bischof Walter Mixa) und über Eva Hermans ewiges Lob der Hausfrau und Mutter.

Die "Rabenmutterdiskussionen" hat sich im Laufe der Jahrzehnte zu einem veritablen Glaubenskrieg entwickelt (mehr...). Die Erkenntnisse der Wissenschaft sind eindeutig: Zwerge werden keineswegs zu Seelenkrüppeln, wenn Fremde sie betreuen.

So sieht es auch Bertelsmann-Vorstand Johannes Meier, der den von der Bundesregierung geplanten weiteren Ausbau der Krippenplätze begrüßte: "Der gezielte Ausbau frühkindlicher Bildung erhöht die Chancengleichheit und ermöglicht mehr Teilhabe bildungsferner Schichten", sagte er.

Viele Milliarden Euro perdu

Die Errechnung volkswirtschaftlicher Effekte zählt zu den Bertelsmannschen Spezialdisziplinen. Und so betont die Stiftung auch die Auswirkungen eines Krippenbesuchs auf die Wirtschaft: Das spätere Lebenseinkommen eines Gymnasiasten liege deutlich über dem eines schlechter Ausgebildeten, heißt es in der Veröffentlichung.

Steige durch den Krippenausbau die Zahl der Gymnasiasten, entstehe ein volkswirtschaftlicher Nutzen von fast 22.000 Euro pro Krippenkind. Die Kosten eines Krippenplatzes in Höhe von durchschnittlich etwa 8000 Euro, die überwiegend der Staat trage, würden dadurch leicht ausgeglichen.

Laut Berechnungen der Bertelsmann-Stiftung hätte es zudem einen volkswirtschaftlichen Nutzen von 2,1 Milliarden Euro je Geburtsjahrgang bedeutet, wenn 35 Prozent der Kinder eines Jahrgangs eine Krippe besucht hätten. Für die sechs untersuchten Jahrgänge entgehe der deutschen Volkswirtschaft damit von 2009 an ein Nettonutzen von insgesamt 12,6 Milliarden Euro. Ganz ähnliche Schlussfolgerungen legen auch US-Studien nahe: Teure Programme für postpubertäre Bildungsnieten sind rausgeschmissenes Geld, das besser in gute Krippenplätze investiert gewesen wäre. Denn langfristig verdient auch der Staat daran.

Mit Material von AP und dpa

* Name von der Redaktion geändert
http://www.spiegel.de/schulspiegel/0,1518,539032,00.html

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