Direkt zum Hauptbereich

Experten-Interview

"Der Fernseher kann einen gewissen "Nährwert" haben."

Daniel Süess ist Medienpsychologe an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften.



Von Nathalie Sassine

baz: Ist der Fernseher im Leben eines Kindes gleichzustellen mit Süssigkeiten: Je weniger, desto besser?

Daniel Süess: Nein, denn im Gegensatz zu Süssigkeiten kann der Fernseher einen gewissen "Nährwert" beinhalten, schliesslich gehört er zu unserer Medienlandschaft und prägt die Gesellschaft nachhaltig. Auch Kinder sollten eine gewisse Medienkompetenz erlernen und hierfür muss ihnen der Umgang mit dem Fernseher gestattet sein. Ein Kind kann sich auch eine Sprache nur aneignen, wenn mit ihm gesprochen wird, anders geht es nicht. Kinder bringen grundsätzlich alles mit, um mit audiovisuellen Medien umzugehen, wenn man sie jedoch davon abschirmt, verhindert man diesen Lernprozess.

Gibt es Nachteile für Kinder, die ohne Fernseher aufwachsen?

Es kommt heute natürlich darauf an, wie ihre Medienwelt sonst aussieht. Eine Familie, die überdurchschnittlich viel ins Kino geht, viel liest oder viele Hörspiele hört, vermittelt ihren Kindern ja auch Geschichten, die Kinder verpassen nichts. Ausser vielleicht den fehlenden Umgang mit dem Fernseher, der in unserer Gesellschaft auch ein Leitmedium darstellt.

Fernsehen ist also nicht nur Unterhaltung und Berieselung?

Keineswegs. Für Schulkinder gibt es heute gute Info-Sendungen, von denen sie sehr viel lernen können. Die Frage ist eher, ob der Fernseher sehr zentral in der Familie ist und das abendliche Schauen ein unumstössliches Ritual. Kinder müssen wissen, dass es auch andere Aktivitäten gibt, als fern zu sehen.

Wo fängt Fernsehsucht bei Kindern an und wie weit kann sie gehen?

Sucht wird immer ähnlich klassifiziert. Indikatoren für eine Sucht sind etwa ein Unwohlsein, das sich einstellt, sobald man eben mal nicht vor dem Fernseher sitzt. Oder wenn man die Anzahl Stunden, die man fern sieht, vertuscht oder gar die Familie anlügt und heimlich anderswo schauen geht. Auch das Vernachlässigen von Beziehungen, Hygiene und Nahrungsaufnahme sind ein sicheres Indiz für eine Sucht. Ein weiterer Indikator sind mehrere Geräte im Haushalt, um ja nichts zu verpassen.

Haben Sie konkrete Tipps für Eltern, wie mit dem Fernseher in der Familie umzugehen ist?

Sie sollten generell Regeln aufstellen, wann und wie oft der Fernseher eingeschaltet werden soll. Mit DVDs und Videos anfangen und zusammen mit den Kindern schauen. Gerade Kleinkinder brauchen Wiederholungen, um den Sinn einer Sendung zu erfassen. Ausserdem sollte man die Zeit im Griff behalten. Kleinkinder eine halbe Stunde, Schulkinder ab einer Stunde, je grösser, je länger, aber nicht jeden Tag. Man sollte die Limiten und Programm zusammen besprechen, konsequent einhalten und die gesehene Sendung besprechen. Und, ganz wichtig: Fernsehen ist kein Mittel gegen Langeweile! Diese gehört zum Leben manchmal einfach dazu.

TV-Tipps für die Kleinen: www.flimmo.tv

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Das Allerwichtigste

    Als ich mir überlegt habe, was ich nach all den Jahren hier mit euch teile, war das erste Thema ziemlich klar: Was ist das Wichtigste für dich als Mutter? In der Schwangerschaft, bei der Geburt, als die Kinder klein waren und heute? War es immer dasselbe? Natürlich sind die Kinder das Wichtigste, die Partnerschaft, eine gewisse Sicherheit, auch finanziell. Aber das meine ich nicht.  Was hat dir das Überleben als Mutter sozusagen gesichert? Wie hast du die langen Tage geschafft, den wenigen Schlaf gemeistert, den Frust, die Sorgen, die Selbstzweifel? Na?  Ich kann ja nicht für alle reden, aber bei mir waren es - abgesehen von meinem Mann - ganz klar: die Frauen in meinem Leben. Meine Freundinnen. Ohne die ich wohl früher oder später wahlweise abgehauen, durchgedreht oder zusammengebrochen wäre. In dieser oder einer anderen Reihenfolge.  Meine Freundinnen sind mein Fels in der Brandung. Mein Punching Bag. Meine Klagemauer. Es sind Mütter von älteren, aber auc...

Die Hormonhölle

  Wer mich bzw. Rabenmutter (Blog und Buch) noch nicht kennt, braucht für diesen Text eine kurze Orientierung: Bei Sassines sind wir 2 Männer (Vater und Sohn, 21) und zwei Frauen (Tochter, bald 17, und ich). Soviel zur Demografie des Hauses. Als mein Sohn in die Pubertät kam, gab es schwierige Zeiten. Wir sind uns sehr ähnlich, will heissen, wir sagen, was ist. Sowohl im Positiven, wie aber auch im Negativen. Wenn uns also etwas nicht passt, meckern wir genauso, wie wir spontan «Ich liebe dich» sagen können. Jedoch gab es Zeiten, da war es kein meckern mehr, vielmehr gingen wir uns regelmässig an die Gurgel mit ausgewachsenen Wutanfällen, die einem Orkan ähnelten. Sowohl in der Kraft, als auch in der Lautstärke. Diese endeten jeweils mit einem Türenschletzen seiner- und einer Putzaktion meinerseits (Ich putze nicht gerne, ausser ich bin wütend. Meine Laune lässt sich also direkt an der Sauberkeit unseres Hauses messen.) Die anderen zwei Sassines, Vater und To...

Wenn nichts mehr geht - knapp am Burnout vorbei

Monatelang stand ich unter Strom. Dann kam der Stromausfall. Wie ich an einem Burnout vorbeirasselte… Das Hirn läuft auf Hochtouren.  Verträge aushandeln . Kuchen backen für diverse Schulevents. Den Grossen zur Töffliprüfung fahren. Hat mein Mann jenen Termin gesehen? Nochmal überprüfen. Die Grossmutter zum Arzt begleiten. Schon wieder ein Mail von diesem Geschäftspartner, dessen niveauloser Ton an Trump erinnert. Und noch ein Problemfall mit Kunden, den wir zwar nicht verschuldet haben, aber ausbaden müssen. So sahen meine letzten Monate aus. Eure vielleicht auch.   Weiterlesen auf Any Working Mom. ( Photo by  Dingzeyu Li  on  Unsplash )