Direkt zum Hauptbereich

Wir lieben es, unsere Kinder zu töten!

 



Am Sonntag stimmen wir darüber ab, ob Abtreibungen von der Krankenkasse bezahlt werden sollen oder nicht. Ein offener Brief an die Initianten.

Die Argumentarien haben wir schon gelesen, gehört und verstanden, familienleben.ch hat letzte Woche noch mal ein Pro-und-Kontra aufgestellt, in dem eigentlich ziemlich klar wird, dass die Volksinitiative daneben ist. Aber aus einem ganz persönlichen Blickwinkel möchte ich mich nun noch dazu äussern, wenn ich darf. Und dank einer anderen persönlichen Freiheit in unserer Demokratie, darf ich das. Ein offener Brief an die Initianten:

Liebe Initianten
Wir – die Gegnerinnen Ihrer Initiative lieben es, unsere Kinder zu töten. Wir finden’s total cool, absichtlich schwanger zu werden, wenn’s gerade nicht passt. Nur, um der Freude willen, im nächsten Krankenhaus unter missbilligenden Blicken abtreiben zu können. Juhuii! Was für ein Machtgefühl, über Leben oder Tod zu entscheiden! Eigentlich sollte die Fristenregelung viel weiter gehen, bspw. bis unsere Kinder volljährig sind, damit wir auch ganz sicher sind, dass wir sie behalten wollen. Es gibt schliesslich Tage, da sind sie wirklich unausstehlich, finden Sie nicht?

Ich auch nicht. Aber interessanterweise gehören Initianten, die sich im weitesten Sinn «Pro-Life» nennen (im Gegensatz zu uns «Pro-Death-Vandalen»), christlichen Kreisen an. Nun soll mir mal einer erklären, wieso wir Kinder behalten sollen, die selbst der Papst nicht haben will/kann/soll. (Dieselbe Kirche ist übrigens kein Fan von Verhütung, wie Sie wissen.) Aber vielleicht geht es auch einfach darum, dass wir das Baby behalten (egal, ob der Mann dazu der Richtige, ein Vergewaltiger oder abgehauen ist), hegen und pflegen (auch wenn uns vorne und hinten das Geld fehlt) und so gezwungenermassen zu Hause bleiben. So haben wir Frauen nämlich auch keine Zeit, uns über andere soziale Ungerechtigkeiten zu enervieren.
Jetzt kommen Sie und sagen, das Prinzip der Kollektivität im Gesundheitssystem soll für den Schwangerschaftsabbruch nicht mehr gelten. Schliesslich kann Herr und Frau Schweizer nichts dafür, wenn wir Frauen ungeschützt mit wem-weiss-ich verkehren, richtig? Nun ist es aber meist so, dass die Eltern dieser abgetriebenen Föten verheiratet und glücklich sind. Und schon Kinder haben. Der Nachzügler liegt vielleicht finanziell, emotional oder gesundheitlich nicht mehr drin. Ausserdem kann die Schwangerschaft je nach Alter doch recht kompliziert werden, was sind denn die Folgekosten von einem kranken Baby?

Eine Langzeitstudie der «Advancing New Standards in Reproductive Health (ANSIRH)», einem Think Tank der University of California in San Francisco, fand heraus, dass Frauen aus bescheidenen Verhältnissen, die ihr Baby in jungen Jahren nicht behalten haben, später finanziell besser gestellt sind alssolche, die wider jeder Vernunft das Baby behielten (war ja irgendwie logisch). Letztere waren nicht selten vom Staat abhängig. Was machen Sie mit diesen Kosten?

Auch hätte ich gerne gewusst, ob jemand von Ihnen schon einmal mit einer Frau gesprochen hat, die abgetrieben hat? Haben Sie eine Ahnung, wie das war, noch vor 50 Jahren? Ich denke nicht, sonst würde es Ihnen vor diesen Geschichten ebenso grauen wie mir: Diese erzählen nämlich von dunklen Kammern und unsauberen Geräten, von Lügen und Ängsten, von traumatisierten Frauen, die danach kinderlos geblieben sind. Dank unserer Fristenregelung haben sich die Verhältnisse normalisiert, Frauen, die ein Kind abtreiben wollen, sind nicht mehr gezwungen, ins Ausland zu gehen, sie werden begleitet und informiert, sie müssen selten auf ein nächstes Kind verzichten, das sie wirklich haben wollen.

Kinder sind etwas Wunderbares, wir lieben sie. Doch ist es wirklich so falsch, einer Frau, die einen Fehler gemacht hat, die Möglichkeit zu geben, diesen zu korrigieren? Auch einer, die eben das nötige Kleingeld dafür nicht hat? Ich bezahle schliesslich auch Krankenkassenprämien für alle Spitzensportler, Raucher, Bungy-Jumper und Übergewichtige. Sind die nicht auch alle selber schuld, wenn sie Pflege in Anspruch nehmen?

Schwangerschaft ist keine Krankheit, das ist richtig. Aber Sie wollen wohl kaum die ganzen Untersuchungen privatisieren, die dazu führen, dass ein Baby möglichst gesund zur Welt kommt, oder doch? Das wäre aber die logische Folge davon.

Es ist furchterregend, wie wir 2014 plötzlich statt in die Zukunft, zurück in die Vergangenheit gehen. Vor allem, wenn die Diskussion auf der scheinheiligen Basis der Finanzen geführt wird.

Ich brauche jetzt wohl kaum noch zu erläutern, wie ich brieflich abgestimmt habe.

Danke für die Kenntnisnahme, ein schönes LEBEN wünsche ich Ihnen. Ich werde mich währenddessen weiterhin ungewollt schwängern lassen, einfach weil es so viel Spass macht!

Ihre Nathalie Sassine-Hauptmann

Kommentare

Steffi hat gesagt…
Provozierend gut geschrieben!!!

Danke dir! Auf Facebook waren einige über die Schreibe nicht so glücklich...

https://www.facebook.com/rabenmutter.ch/posts/10201697879594153?comment_id=67898929&offset=0&total_comments=32&notif_t=share_comment

Beliebte Posts aus diesem Blog

Das Allerwichtigste

    Als ich mir überlegt habe, was ich nach all den Jahren hier mit euch teile, war das erste Thema ziemlich klar: Was ist das Wichtigste für dich als Mutter? In der Schwangerschaft, bei der Geburt, als die Kinder klein waren und heute? War es immer dasselbe? Natürlich sind die Kinder das Wichtigste, die Partnerschaft, eine gewisse Sicherheit, auch finanziell. Aber das meine ich nicht.  Was hat dir das Überleben als Mutter sozusagen gesichert? Wie hast du die langen Tage geschafft, den wenigen Schlaf gemeistert, den Frust, die Sorgen, die Selbstzweifel? Na?  Ich kann ja nicht für alle reden, aber bei mir waren es - abgesehen von meinem Mann - ganz klar: die Frauen in meinem Leben. Meine Freundinnen. Ohne die ich wohl früher oder später wahlweise abgehauen, durchgedreht oder zusammengebrochen wäre. In dieser oder einer anderen Reihenfolge.  Meine Freundinnen sind mein Fels in der Brandung. Mein Punching Bag. Meine Klagemauer. Es sind Mütter von älteren, aber auc...

Die Hormonhölle

  Wer mich bzw. Rabenmutter (Blog und Buch) noch nicht kennt, braucht für diesen Text eine kurze Orientierung: Bei Sassines sind wir 2 Männer (Vater und Sohn, 21) und zwei Frauen (Tochter, bald 17, und ich). Soviel zur Demografie des Hauses. Als mein Sohn in die Pubertät kam, gab es schwierige Zeiten. Wir sind uns sehr ähnlich, will heissen, wir sagen, was ist. Sowohl im Positiven, wie aber auch im Negativen. Wenn uns also etwas nicht passt, meckern wir genauso, wie wir spontan «Ich liebe dich» sagen können. Jedoch gab es Zeiten, da war es kein meckern mehr, vielmehr gingen wir uns regelmässig an die Gurgel mit ausgewachsenen Wutanfällen, die einem Orkan ähnelten. Sowohl in der Kraft, als auch in der Lautstärke. Diese endeten jeweils mit einem Türenschletzen seiner- und einer Putzaktion meinerseits (Ich putze nicht gerne, ausser ich bin wütend. Meine Laune lässt sich also direkt an der Sauberkeit unseres Hauses messen.) Die anderen zwei Sassines, Vater und To...

Wenn nichts mehr geht - knapp am Burnout vorbei

Monatelang stand ich unter Strom. Dann kam der Stromausfall. Wie ich an einem Burnout vorbeirasselte… Das Hirn läuft auf Hochtouren.  Verträge aushandeln . Kuchen backen für diverse Schulevents. Den Grossen zur Töffliprüfung fahren. Hat mein Mann jenen Termin gesehen? Nochmal überprüfen. Die Grossmutter zum Arzt begleiten. Schon wieder ein Mail von diesem Geschäftspartner, dessen niveauloser Ton an Trump erinnert. Und noch ein Problemfall mit Kunden, den wir zwar nicht verschuldet haben, aber ausbaden müssen. So sahen meine letzten Monate aus. Eure vielleicht auch.   Weiterlesen auf Any Working Mom. ( Photo by  Dingzeyu Li  on  Unsplash )