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Handy-Mütter und Depro-Kinder

Mütter vernachlässigen ihre Kinder für das Handy. Oder so.

Wenn ich diese Zeilen fertig geschrieben habe, muss ich noch schnell einen dringenden Anruf erledigen, dann Wäsche falten und Abendessen kochen. Während dieser ganzen Zeit werde ich mich nicht mit meinen Kindern beschäftigen, geschweige denn, mit ihnen sprechen.

«Geht gar nicht!» meinte letzte Woche René Staubli auf diversen News-Kanälen. Der Journalist sollte eine deutsche Studie kommentieren, die besagt, dass Mütter mehr in ihr Handy als mit ihren Kindern reden. Leider ist in dem Artikel weder ein Link zur Studie zu finden, noch ist es ein ernst zu nehmender Kommentar. Herr Staubli versinkt im Pathos: «Die Kleinen müssen sich verloren vorkommen, denkt man, verunsichert, verzweifelt. Sie schaffen es einfach nicht, ihre wichtigste Bezugsperson für sich zu interessieren.» Im Ernst?

Interessieren Sie sich jede Minute Ihres Tages für Ihr Kind? Beschäftigen Sie sich rund um die Uhr mit den Sprösslingen? Sie ahnen es bereits: Ich nicht! Obwohl, «Kinder leiden unter den leeren Augen einer Mutter, die nur halb anwesend ist». «Sicherheit gibt ihnen nur eines: der enge emotionale Kontakt mit nahen Menschen.», Staubli O-Ton. An Letzterem gibt es nichts auszusetzen, emotionaler Kontakt ist für ein Kind lebenswichtig. Doch muss dieser Kontakt 24 Stunden am Tag gleich intensiv sein?
In meinem Bekanntenkreis gibt es Frauen, die ebenfalls meinen, Kinder müssten dauerbeschallt werden. Sie «kümmern» sich ohne Punkt und Komma um ihren Nachwuchs, es wird gefüttert, gespielt, vorgelesen, gerutscht, geklettert, gekuschelt, auf den Schoss gesetzt, bequasselt und erst wenn sie im Bett sind, scheint Mama endlich mal Pause zu haben. Was für ein Stress! Wann erholen sich die Kleinen denn mal von der mütterlichen Berieselung? Auch erst, wenn sie schlafen? Darf ein Kind nicht auch einfach mal Ruhe haben? Und Langeweile verspüren?

Es ist ja nicht so, dass die Generation unserer Eltern, als es noch keine Handys gab, wirklich präsenter für uns Kinder da gewesen wären. Und auch die Generationen davor nicht. Eine nicht repräsentative Umfrage ergab, dass Mütter sich auch früher – wenn nicht noch mehr als heute – ihre Freiräume schafften. Mütter, die gerne plauderten hingen dabei halt nicht am Telefon, sondern sie luden ihre Freundinnen zu sich ein, derweil die Kinder sich alleine beschäftigen mussten. Dies scheint heute in unserer verbildeten, ratgeber- und theorie-geplagten Gesellschaft nicht mehr möglich zu sein. Oder wie erkläre ich mir einen Zweijährigen, der gleich nach dem Aufwachen mit Spielsachen am elterlichen Bett steht, weil er gefälligst mit Mami spielen will?

Ich wage zu behaupten, besagter Journalist, und seine vorwiegend männlichen Kommentatoren, haben nie sechs Monate lang 24 Stunden mit einem Baby verbracht. Zwölf mal täglich dieselben Aktionen, wickeln, füttern, herumtragen, um am nächsten Tag wieder von vorne zu beginnen... Wetten, sie würden alle auch gerne mal zum Handy greifen?
Es gibt viele Situationen, in denen wir uns nicht oder nur nebenbei um unsere Kinder kümmern: Waschen, kochen, Wäsche falten, staubsaugen, einkaufen, arbeiten und und und... Sollen wir das alles ebenfalls bleiben lassen, weil sonst der Kontakt zum Nachwuchs leidet? Oder wir warten, bis sich die Kinder mit ihren eigenen Handy rächen und UNS vernachlässigen!

Kommentare

Anonym hat gesagt…
Obwohl zur Supermütter-Fraktion gehörend (tragend, stillend, familienbettlend ;-) halte ich das 24/24-Stunden-Bespassen für alle Beteiligten für sehr, sehr ungesund. Bedürfnisse befriedigen - ja gerne, möglichst auch sofort. Aber sonst? Nö, da muss ich keine Rabenmutter sein, um mein Erwachsenenleben leben zu wollen... der Kurze läuft mit und hilft Haushalten, Gärtnern, Computern oder in der Autowerkstatt schlüsseln - was halt gerade ansteht. Das macht doch allen Beteiligten mehr Spass, als wenn Eltern den Tag in der "Kinderwelt" verbringen. Für letztere gibt's einen oder zwei Tage Krippe und andere Kinder. Aber sonst? Nöö, muss nicht sein. Schliesslich sollen sie ja auch die richtige Welt kennen lernen und dort hat's keine pinken Ponys mit regenbogenfarbenen Mähnen...
Andrea Mordasini, Bern hat gesagt…
Herrn Staublis Hand-Eltern-Artikel habe ich vor ein paar Tagen schon gelesen. Den Artikel finde ich Artikel reisserisch, undifferenziert, provozierend und beleidigend. So ein Bericht kann, ehrlich gesagt, nur aus der Feder eines Mannes stammen, der wohl (noch) nicht Vater ist. Sonst hätte er für die eine oder andere telefoniernede bzw. SMS schreibende Mutter eher Verständnis. Auch ich besitze ein Handy, auch ich telefoniere oder simsle hin und wieder auf dem Spielplatz, während die Kinder herumtoben. Das ist für mich mitunter die einzige Möglichkeit, dies in relativer Ruhe zu tun. Warum auch nicht? Was bitte ist daran so schlecht, so falsch? Zudem lerne ich meine Kinder, selber und miteinander zu spielen. Nur so werden sie selbstständig. Es hat noch keinem Kind geschadet, gelangweilt zu sein. Nur so lernt es Ideen zu entwickeln. Langeweile fördert die Fantasie - es ist also alles halb so wild, wenn die Mutter/der Vater telefoniert, SMS schreibt, ein Buch liest oder wie ich gerade einen Blogkommentar verfasst ;-). Und nein, ich vernachlässige meine Kinder so bestimmt nicht! Sie sind mit 4 und 2.5 Jahren in einem sehr anstrengenden Entdecker-Alter, wo es mir gar nicht erlaubt, nonstop am Handy zu sein ;-). Zudem lässt sich der Buggy einhändig nur sehr schlecht lenken, da fällt das Handy am Ohr also auch schon weg… Und was bitte ist mit all den telefonierenden/SMS schreibenden und gleichzeitg mit dem Nachwuchs spazierenden Vätern? Warum werden die einmal mehr nicht erwähnt? Na also! Zudem: Telefonieren oder SMS schreiben und sein Kind vernachlässigen, sind ganz klar zwei Paar verschiedene Schuhe! Um ein Kind zu vernachlässigen, brauchts definitiv weit mehr als bloss das Ohr am Handy…! Verteufeln wir bitte nicht das Handy, es hat schon manch gute Dienste geleistet, gerade aus- und unterwegs bei Notfällen. Herr Staubli, seien Sie doch bitte etwas toleranter und verständnisvoller uns Müttern gegenüber und halten Sie sich ein wenig zurück mit ihren unbegründeten Vorurteilen – es ist nicht immer so wie es für Sie zumindest scheinen mag :-)!

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