Du sollst stillen
Anlässlich der Weltstillwoche: Wieso Stillen zwar toll ist, aber nicht erzwungen werden soll.
«Ich habe dieses Buch geschrieben, weil ich glaube, dass sich das Mutterbild in eine falsche Richtung entwickelt», sagte die Feministin Elisabeth Badinter 2010, als ihr Buch «Der Konflikt» in Frankreich erschien. «Ich wollte mich zu Wort melden, bevor es zu spät ist. Auslöser war für mich eine Gesetzesänderung, die der Gesundheitsminister Bernard Kouchner im Jahr 1998 veranlasst hat.
Auf Druck der Weltgesundheitsorganisation wurde in Brüssel beschlossen, dass alle EU-Staaten eine Politik umsetzen sollen, welche die Frauen dazu anhält, ihren Neugeborenen die Brust zu geben. Auch in Frankreich wurde die Erhöhung der Stillquote zur politischen Doktrin erhoben. Kouchner veranlasste, dass Frauen, die in der Geburtsklinik ihre Kinder nicht stillen, keinen Anspruch mehr auf Milchpulver haben. Heute muss eine Frau, die in der Klinik nicht stillen kann oder nicht stillen will, für das Milchpulver bezahlen. Ich fand diesen Beschluss so skandalös, dass ich mir vornahm, die Angelegenheit genauer zu verfolgen.»
Zur Erinnerung: In der Schweiz läuft es nicht ganz so, aber Apotheken dürfen beispielsweise keine Milchpulver-Muster abgeben. Ich muss, wenn ich noch nicht weiss, welche Pulvermilch mein Kind vertragen wird, eine ganze Büchse kaufen. Eine finanzielle Benachteiligung kennen also auch frischgebackene Mütter in der Schweiz.
Zurück zu Badinter: Sie ist überzeugt, dass die Neubewertung des Stillens veranschaulicht, wie sich das Frauenbild verschoben hat. Propagiert wird das Stillen unter anderem von der amerikanischen Leche League, die heute in über siebzig Ländern, darunter auch in der Schweiz, präsent ist. Diese will Frauen von den Segnungen der Muttermilch überzeugen. Badinter vermutet dahinter jedoch eine ganze Koalition konservativer Kräfte: Für sie passt die neue Präferenz für das Stillen zu einem ökologischen Bewusstsein, das technischem Fortschritt skeptisch gegenübersteht. Denn was – so die Argumentation der Still-Befürworter – könnte natürlicher sein als Muttermilch? Ist es nicht verdächtig, ein Neugeborenes mit künstlicher Nahrung zu traktieren, welche auch noch von internationalen Nahrungsmittelkonzernen hergestellt und vertrieben wird? Der Zeitgeist ist schnell bereit, diese Frage mit Ja zu beantworten.
Alles Rabenmütter?
Badinter hält dagegen, dass es keine empirischen Beweise dafür gebe, dass das Stillen der Gesundheit eines Kleinkindes in signifikantem Masse zugute komme. Im Gegenteil: Sie zitiert mehrere Studien, die keine Korrelation zwischen Entwicklungsfähigkeit des Kindes und Stillzeit feststellen können. Die aufwendigste Untersuchung, sagt die Feministin, sei erst nach der Drucklegung ihres Buches veröffentlicht worden. Sie wurde vom kanadischen Kinderarzt Michael Kramer durchgeführt, der die Entwicklung von 16 000 Kleinkindern in Weissrussland untersuchte. Kramer kommt zum Ergebnis, dass es keinen statistischen Zusammenhang zwischen Muttermilch und Schutz vor Allergien und Asthma gebe – eine häufige Behauptung. Allerdings stellte Kramer einen schwachen, aber statistisch bedeutenden Einfluss auf den IQ der Kinder fest – er ist deshalb weiterhin vom Nutzen des Stillens überzeugt.
«Es bestreitet doch auch niemand, dass Stillen eine wunderbare Sache ist», sagt Badinter. «Man weiss, dass die Milch den Bedürfnissen des Babys angepasst ist und dass das Stillen Hormone erzeugt, die es der Mutter leichter machen können, zum Kind eine enge Bindung aufzubauen. Wenn eine Frau sich beim Stillen glücklich und erfüllt fühlt: grossartig. Ich sage nur, dass es sehr wohl möglich ist, sein Kind zu lieben, ohne ihm die Brust zu geben. In den Siebzigerjahren hat nur eine kleine Minderheit von Frauen gestillt – trotzdem glaube ich nicht, dass damals eine ganze Generation aus Rabenmüttern bestand. Die menschliche Psyche ist ein klein wenig komplizierter als die Biologie des Säugetiers.»
Klar ist, dass die aktuelle Wertschätzung der Muttermilch nur schwer mit der Berufstätigkeit von Frauen zu verbinden ist. In den meisten Fällen ist es schwierig für eine Mutter, ins Berufsleben zurückzukehren, solange sie noch stillt. Auch die Betreuung des Säuglings durch den Vater ist während der Stillzeit nur begrenzt möglich. Die Wiederentdeckung des Mutterinstinktes fördert damit die berufliche Gleichberechtigung nicht gerade. Denn propagiert wird das Stillen über mindestens sechs Monate. In der Regel ist deshalb nur, wer langen Mutterschaftsurlaub nehmen kann, auch in der Lage, seinen Säugling lange zu stillen — oder aber die Mütter steigen gleich ganz aus ihrem Beruf aus.
Die Weltstillwoche steht dieses Jahr in der Schweiz unter dem Motto «Platz dem Stillen» und findet vom 14. bis zum 21. September 2013 statt. Mit der Kampagne will die Schweizerische Stiftung zur Förderung des Stillens darauf aufmerksam machen, dass Stillen nichts mit Ideologie zu tun hat und Unterstützung verdient. Es sei aus nach wie vor wünschenswert und dringend, das Stillen in der Schweiz zu erleichtern und zu fördern. Ob Stillräume und -pausen am Arbeitsplatz den erwünschten Erfolg bringen und mehr Mütter stillen werden, wage ich zu bezweifeln. Vielleicht wird einfach nur der Druck grösser zu stillen, auch wenn man das eigentlich nicht möchte. Wenn jetzt schon in Yogastellung gestillt wird (siehe Bild), kann es ja nicht so schwer sein, so der Tenor.
Was meint ihr?
Kommentare
Und dann werden dann mal wieder irgendwelche Studien zitiert, die mal so, mal so ausgelegt werden also hier wenn irgend möglich am besten also gegen das Stillen.
Und was soll diese Jammerei in Bezug auf Milchpulver? Mütter, die ihr Kind windelfrei halten, sparen, genau so wie stillende Mamas eben Geld. Und Windel-Müsterli gibt's jetzt auch nicht grad wie Sand am Meer und wenn dann von Pampers also muss Mutter eben auch die ganze Packung kaufen um zu schauen ob die Windeln was sind und die sind übrigens teurer als Milchpulver. Weiterverkaufen kann man aber beides wenn man's nicht brauchen kann. Herrgott, Mütter bekommen schliesslich auch kein Geld dafür, dass sie stillen, es sei denn sie sind bei der einen Krankenkasse, die Stillgeld auszahlt.
Stilldruck herrscht hierzulande sicher nicht also wozu der Beitrag? Bisher hat noch jede Mutter gesagt, die ich kenne "wenn's nicht klappt, dann eben nicht, mit Flasche werden sie auch gross" - Standardspruch. Kommt IMMER! Also da seh ich nun wirklich keinen Druck. Den gibt man sich höchstens selber, so war's bei mir auf jeden Fall. Aber ich bin mehr als froh, dass ich mich nicht scheitern liess denn ich stille nach 21 Monaten noch immer und liebe es. Meine Tochter ist fast nie krank und hat keine Allergien aber das kann auch so sein weil sie von sich aus sehr robust ist.
Die La Leche League empfinde ich persönlich als grosse Hilfe und Stütze für stillende Mütter und nicht als indoktrinierende Organisation.
Gerne also hier ein anderer Artikel zum Thema Weltstillwoche, der etwas positiver gefärbt ist: http://www.vaterland.li/index.cfm?ressort=home&source=lv&id=25207
Als Buchtipp wollte ich aus dem englischsprachigen Raum dalassen: "Bottled Up" von Suzanne Barston. In Amerika sind wir nämlich längst da, wovor Badinter gewarnt hat.