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Ihr Kinderlein wartet...

Späte Elternschaft hat angeblich gravierende Konsequenzen. Sind die Kinder erst einmal da, ist die Frage «Was wäre gewesen, wenn?» aber ohnehin müssig, wie eine aktuelle Debatte zeigt.

«Im letzten halben Jahrhundert hat Elternschaft eine simple und gleichzeitig grundsätzliche Veränderung erfahren, so dass wir erst beginnen, deren Ausmass zu begreifen. Wir bekommen unsere Kinder heute viel später als das früher der Fall war.» So beginnt Judith Shulevitz’  Leitartikel in der Dezember-Ausgabe des «The New Republic». Der Titel «How Older Parenthood Will Upend American Society», gibt bereits den Pathos des Inhaltes vor.


Klar, späte Elternschaft ist nicht nur in den USA eine Tatsache, die sich statistisch belegen lässt. Die Eltern sind älter denn je und Shulevitz zählt in ihrem Text auch die Gründe dafür auf, warum sie das für alarmierend hält. Etwa, weil Ehepaare ab einem gewissen Alter auf Methoden der Fruchtbarkeitsmedizin zurückgreifen, bei denen die Langzeitwirkungen noch ungeklärt sind. Sie erwähnt auch, dass vermehrt Verhaltensauffälligkeiten bei Kindern auftreten, was gemäss gewissen Wissenschaftlern am fortgeschrittenen Alter der Eltern und einer damit auftretenden Chromosomenabnormität liegen könnte. Frischgebackene Mütter und Väter jenseits der 40 riskieren zudem, sich als typische Vertreter der «Sandwich-Generation» fühlen zu müssen. So werden jene Menschen bezeichnet, die sich gleichzeitig um einen Säugling und die eigenen Eltern kümmern müssen. Ah ja und nicht zuletzt ist die Wahrscheinlichkeit grösser, dass alte Eltern sterben könnten, bevor das Kind volljährig ist.

Shulevitz hat recherchiert und die ganzen wissenschaftlichen Belege sind beeindruckend, wenn auch nicht neu. Zu Gute halten muss man der Autorin, dass sie eine der ersten ist, die nicht alleine die Mütter für die gesundhetlichen Risiken der späten Geburt verantwortlich macht, sondern auch auf die Rolle der Väter verweist. Seit diesem Jahr weiss man schliesslich, dass auch ältere Väter ein gesundheitliches Risiko für das Ungeborene darstellen, das mit dem Alter exponentiell steigt. 

«Was wäre gewesen, wenn?»Spannend ist die Debatte, die sie damit ausgelöst hat. Der Grundtenor: Was bringt das Wissen um die zahlreichen Risiken? Soll man sich nun dauernd hinterfragen «Was wäre gewesen, wenn?». Das der Tenor der Kommentare in vielen Blogs und meinungsmachenden Medien zu Shulevitz’ Artikel. Ausgeblendet wird von ihr nämlich die Tatsache, dass die Entscheidung, ein Kind in die Welt zu setzen, in den meisten Fällen keine wirkliche Entscheidung ist, sondern vielmehr eine Frage der Umstände.

Die Gründe für das Aufschieben sind meist ganz praktischer Art: Die Suche nach dem richtigen Partner, die finanzielle Absicherung, die Fruchtbarkeit, die Karriere. Manchmal ist es schlicht und einfach die Zeit, die so schnell vorbei geht oder die eigene Jugendlichkeit, die das biologische Alter vergessen lässt. Es gibt viele Gründe, für eine frühe Elternschaft, doch irgendwann ist die Diskussion darüber müssig, weil es schlicht und einfach nicht hat sollen sein. 

Späte EinsichtenSo schreibt die «Slate»-Autorin Alison Benedikt: «Ich wünschte, wir hätten früher angefangen, Kinder zu kriegen, sagen wir, fünf Jahre früher, so dass wir mit 40 keine falsche Trennwand mehr zwischen unserem und dem Kinderzimmer bräuchten.» Sie hat sich nämlich ausgerechnet, dass sie erst wieder für eine grössere Wohnung sparen könne, wenn die Kinder eingeschult und somit die Betreuungskosten wegfallen. Früher konnten sie nicht, weil sie noch zu wenig verdienten, heute, weil die Kinder das Budget strapazieren.

Immer wieder wird über den richtigen Zeitpunkt zum Kinderkriegen diskutiert und auch wenn das Alter ohne Zweifel ein wichtiger Aspekt ist, so ist es mit Sicherheit nicht der einzige. «Sich dauernd zu hinterfragen, ob man nicht lieber früher oder später Kinder gehabt, Single geblieben oder geheiratet, den Job angenommen oder abgelehnt hätte, ist ein unnötiges Trauern um eine Person, die man vielleicht geworden wäre, wenn man nur «richtig» entschieden hätte», so Noah Berlatskys Antwort auf die «Was wäre gewesen, wenn»-Debatte im «The Atlantic».

Und was das Umkrempeln der amerikanischen Gesellschaft angeht, wie sie Judith Shulevitz ähnlich einer Maya-Vorhersehung prophezeit, gilt es klaren Kopf zu bewahren. Die Gesellschaft wird sich wegen der paar älteren erstwerdenden Eltern noch lange nicht grundlegend verändern. In den USA liegt die durchschnittliche Quote der Erstgebärenden bei 25, in der Schweiz bei 31.4 Jahren. Ja, viele Frauen und Männer werden heute mit knapp 40 Eltern, doch ist das noch lange nicht die Mehrheit. Das mag am Ticken der biologischen Uhr oder an den hohen Kosten einer Hormon-Behandlung liegen. Vielleicht entscheiden sich aber nach wie vor viele aus dem Bauch heraus für Kinder. Früher oder später.

 

 

Kommentare

SaMaRia hat gesagt…
Was wäre wenn? Wir haben uns ganz bewusst entschieden unsere drei Kids früh zu bekommen! Ich wollte nämlich auf dem Abiball meines Jüngsten nicht als dessen Oma betitelt werden... ;-) davon ab. Der richtige Zeitpunkt ist nie! Mal ist die Wohnung zu klein, dann ist das Geld knapp oder man hat gerade erst den Job gewechselt... Vielleicht muss man das Thema 'Kinder kriegen' einfach auf sich zukommen lassen. Immerhin wächst man mit seinen Aufgaben.

LG Sandra aus der Kinderküche

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