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«Sein Glück selber schmieden»

Ein neues Buch zeigt auf, welche Werte jungen Schweizern am Herzen liegen. Mit Romantik und Lebensfreude haben sie wenig zu tun.

Kennenlernen, neun Monate zusammen sein, heiraten, zusammenziehen, Kinder kriegen. So sah vor bald vierzig Jahren der Lebensentwurf meiner Eltern aus. Nach nur neun Monaten heirateten sie, denn sie waren überzeugt, dass es der nächste richtige Schritt ist. Bis zuletzt wussten meine Grosseltern nicht, dass ihre Kinder im Konkubinat(!) gelebt hatten, bevor sie eine Familie gründeten. Mein Vater hatte zwar einen Job, doch wohin die Lebensreise ging, wussten weder er noch seine zukünftige Frau. Hauptsache, sie waren zusammen unterwegs.

Ihre Reise war dann in der Tat vergleichbar mit einem Abenteuer-Rucksack-Trip durch den Amazonas, zwar lebten wir gut, aber nichts war in Stein gemeisselt, alles konnte jederzeit ändern: Der Wohnort, der Job, die Laune.
Bereits meine Generation strebte etwas mehr Sicherheit an, indem sie sich Wurzeln schuf, die ihr von zu hause nicht mitgegeben wurden. Wir halten uns im Verhältnis zu unseren Eltern als ausgesprochene Bünzlis, mit unserem Sparkonto und dem Eigenheim auf dem Land.
Neo-KlassischDoch was vor vierzig Jahren als romantisch und abenteuerlich galt, scheint heute für junge Erwachsene ein Albtraum. Sie wollen heute Sicherheit, Wohlstand und Erfolg. Dieses Bild zeichnet zumindest das Buch «Lebensentwürfe – Junge Erwachsene im Spannungsfeld zwischen Individualität und Geschlechternormen» der Sozialgeografin Karin Schwiter. Sie interviewte für ihre Dissertation Erwachsene im Alter zwischen 24 und 26 Jahren zu ihren Lebens- und Wertvorstellungen und kam zum Schluss, dass klassische Werte gefragter sind denn je.

Interessante Erkenntnisse gewinnt Schwiter auch im Zusammenhang mit der Familiengründung. Denn junge Schweizer sind perfektionistisch, sie entscheiden sich erst für Kinder, wenn die «Lebensumstände passen». Die Voraussetzungen dafür werden sehr hoch angesetzt: Eine langjährige, heterosexuelle (!) Partnerschaft, finanzielle und berufliche Sicherheit und der Wille, den Kindern die erste Priorität einzuräumen. Wer diese Kriterien nicht erfüllen kann, soll lieber auf Kinder verzichten.
Soziologen bezeichnen diese jungen Erwachsenen als langweilig und angepasst, halt so ganz anders als die Generationen davor. Ich würde noch einen Schritt weitergehen: Mich schockiert die Anmassung dieser «Kinder», die die Weisheit mit dem Löffel gegessen haben und zu wissen glauben, was man zum Kinderkriegen braucht. Dieses politisch sehr weit rechts gelegene Gedankengut (das Homophobe daran wäre alleine Stoff für einen eigenen Text), dass sich nur Kinder leisten kann, wer sie sich eben „leisten“ kann, ist in einer Epoche der Krise und Unsicherheiten vielleicht psychologisch verständlich, nichts desto trotz empörend. Das klingt so sehr nach verwöhnten Akademikerkindern, dass man sich fragen muss, wo Frau Schwiter die Befragten her hat.
Natürlich möchte man sich die bestmöglichen Voraussetzungen schaffen, bevor man eine Familie gründet. Die wenigsten halsen sich Kinder auf, wenn sie noch mitten in der Ausbildung stecken und noch keinen Beruf ergriffen haben. Doch wie naiv kann man sein, dass man dann glaubt, es reiche, um die nächsten zwanzig Jahre auf dieselbe Art und Weise zu leben, sprich mit einem hohen Lebensstandard? Und ist es wirklich das Wichtigste, was man Kindern mitgeben kann? Das eigene Kinderzimmer und Sommerferien an einem weissen Sandstrand?

Zitiert wird aus der Studie auch folgendes: «Jeder und jede muss sein Glück selber in die Hand nehmen.» Was so schön klingt, heisst mit anderen Worten nur: «Wenn du es nicht schaffst, erfolgreich und finanziell abgesichert zu sein, bist du wahrscheinlich selbst schuld. Also solltest du auch keine Kinder in die Welt setzen!»
Interessanterweise stehen die Befragten Kinderkrippen sehr kritisch gegenüber, als regelrechtes Feindbild gilt deshalb das Doppelverdienerpaar, dass die Kinder fünf Tage die Woche fremd betreuen lässt. Das heisst im Klartext, dass der gute Job, für den man jahrelang geackert hat und der einem den Lifestyle garantiert, ohne den man lieber keine Kinder haben sollte, auf einmal doch nicht mehr so wichtig ist. Denn mindestens ein Elternteil wird diesbezüglich zurückstecken müssen, um die lieben Kinderlein zu betreuen, oder nicht?

Vielleicht darf ich mich nicht so aufregen, mit 24 dachte ich auch noch, ich würde NIE UND NIMMER in ein Restaurant mit Spielecke gehen, nur damit die Kids zufrieden sind und ich in Ruhe essen kann. Ein paar Jahre und zwei Kinder später weiss ich es besser. Mit 24 hat man einfach noch keine Ahnung, aber viele Prinzipien. Ich wünsche den jungen Schweizern deshalb viele Kinder, die ihnen zeigen, was Leben heisst.
 

Kommentare

Anonym hat gesagt…
Das Pendel schwingt immer hin und her... und mit 20 oder 25 habe ich auch noch alles gewusst. Mit 40 habe ich dafür jetzt Kinder und die machen eindeutig mehr Spass, als alle die philo-soff-ischen Abende in einer verrauchten Kneipe, an denen wir damals die Welt retteten ;-)

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