Direkt zum Hauptbereich

Sau(g) Stress


Wie freundlich ist stillfreundlich? Müssen wir uns bevormunden lassen von sogenannten Experten, die sich stillfreundlich auf die Brust tätowiert haben? Nein, finden wir!

„Stillen ist eine Kunst!“, sagt Still- und Laktationsberaterin Verena Marchand.

Oh bitte! Mich machen solche Äusserungen so was von sauer. Ich meine, wie kann man so einfühlsam und natürlich tun, und dabei das angeblich normalste der Welt als Kunst bezeichnen?!

Stillen ist keine Kunst, und es braucht dazu auch keinen Hochschulabschluss. Stillen ist oft einfach nur Glückssache. Kein Wunder, das es bei vielen Frauen nicht klappt, wenn sie das Gefühl haben sie müssten eine Prüfung absolvieren, und dies vor einer „Laktationsberaterin“. Was ist das überhaupt für ein hässliches Wort? Hört sich eher an wie die Berufsbezeichnung von jemandem, der mit einer ekligen Krankheit zu tun hat.

Ich hatte Glück und ich bin ein Macho. Das heisst, ich habe mich gezwungen durchzuhalten, als meine Brustwarzen beim ersten Kind bluteten, und ich fast umfiel vor Schmerz. Ich wollte unbedingt stillen, um wirklich zu erleben was es heisst ein Säugetier zu sein. Etwas masochistisch, ich gebe es zu.
Aber abgesehen von den Schmerzen, der mit dem Stillen einhergehenden Dummheit und den sabbernden Brüsten hab ich’s sehr genossen. Ich stillte beide Kinder sechs Monate lang und war dann auch froh als meine Brüste wieder mir gehörten.

Der heutige Stillzwang und die damit verbundene Wissenschaft macht einem eher Angst vor dem Stillen, als dass es einem ermutigt. 90% der Mütter versuchen am Anfang zu stillen, aber nur 20% stillen ihr Kind in den ersten sechs Monaten ausschliesslich. Wieso eigentlich? Anscheinend sind viele Mütter so enttäuscht das es nicht auf Anhieb klappt, dass sie es lieber bleiben lassen. Ich kann das gut nachvollziehen. Immer wird einem das Stillen als fast himmlischen Zustand verkauft. Absolute innige Zweisamkeit mit dem Kind. Auf den Bildern sehen Mutter und Kind so schön und gesund aus, dass es einem fast schlecht wird. Die Realität mit den Schmerzen, und das Gefühl eine müde alte Milchkuh zu sein wird nirgends erwähnt. Es ist schwierig, diesem Bild der entspannten Mutter, die sich voller Hingabe um’s Kind kümmert, gerecht zu werden.

Und genau da liegt das Problem. Die Erwartungen sind viel zu gross und die Vorbilder sind kitschig und realitätsfremd.

Das „Drumherum“ des Stillens ist mittlerweile auch erschreckend. Es gibt Stiftungen zur Förderung des Stillens die zu Weltstillwochen aufrufen. Es gibt ein Unicef-Label, das Spitäler und Geburtshäuser als „stillfreundlich“ auszeichnet. Man kann die eigene elektrische Brustpumpe in einem Rucksack überall mitnehmen und sich schnell und unauffällig die kostbare Muttermilch abpumpen.

Das ist ja alles gut und recht, aber ist es nicht ein wenig heuchlerisch, wenn diese angeblich so stillfreundlichen Spitäler nicht mehr die Zeit nehmen, verunsicherte Mütter zu beraten? Da gibt es so Geschichten, wie die der Frau Ammann, die mich schon ziemlich nachdenklich stimmen. Als sie ihr Kind in so einem Krankenhaus gebar und es mit dem Stillen nicht klappen wollte, übergab man ihr ein Stilltechnik-Video, dass sie sich dann im Zimmer anschauen sollte.
Ich stelle mir das sehr angenehm vor wenn man beispielsweise in einem Allgemeinversicherten-Zimmer, umgeben von anderen Müttern, die keine Still-Probleme haben, sich ein Stilltechnik-Video anschauen muss.


Es gibt keinen Grund warum ein Schoppenkind nicht genauso gesund und glücklich sein soll wie ein gestilltes. Es liegen zwar immer wieder neue Studien vor, die besagen, dass Muttermilch gesundheitliche Vorzüge gegenüber der industriell hergestellten Säuglingsnahrung hat. Aber das soll nicht bedeuten das Mütter, die nicht Stillen wollen oder können schlechte Mütter sind.

Seien wir doch einfach froh, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt, und kein Kind (hierzulande) hungern muss. Meine Generation, die in den 70er zur Welt kam, wurde oftmals auch nicht gestillt oder nur sehr wenig, und sind wir nicht ein Haufen super cooler Zeitgenossen?

Ich wünsche euch allen viel Spass beim Ernähren eurer Kinder, egal ob Schoppen oder Brust. Schliesslich ist die grösste Befriedigung zu sehen, wie ein Kind mit gesundem Appetit trinkt und dann friedlich einschläft.

Quellen: Beobachter, Nr. 20/07











Kommentare

Sib hat gesagt…
DANKE, DANKE, DANKE für diese klaren Worte! Und für die Schmunzler, die ich bein Lesen hatte. "Müde alte Milchkuh" — es kam mir so bekannt vor. Hab mir beim ersten Kind auch gedacht, wenn ich jetzt eine Mahlzeit mit Schoppen ersetze (vor 6 Monaten), dann bin ich schuld, wenn das Kind ne Allergie kriegt! So ein Scheiss! Frauen: Wenn ihr Lust habt und es Spass macht, dann stillt. Wenn nicht, eben nicht —oder eben nicht voll, es gibt ja nicht nur Schwarz udn Weiss.
Liebe Grüsse
Sibylle

Beliebte Posts aus diesem Blog

Das Allerwichtigste

    Als ich mir überlegt habe, was ich nach all den Jahren hier mit euch teile, war das erste Thema ziemlich klar: Was ist das Wichtigste für dich als Mutter? In der Schwangerschaft, bei der Geburt, als die Kinder klein waren und heute? War es immer dasselbe? Natürlich sind die Kinder das Wichtigste, die Partnerschaft, eine gewisse Sicherheit, auch finanziell. Aber das meine ich nicht.  Was hat dir das Überleben als Mutter sozusagen gesichert? Wie hast du die langen Tage geschafft, den wenigen Schlaf gemeistert, den Frust, die Sorgen, die Selbstzweifel? Na?  Ich kann ja nicht für alle reden, aber bei mir waren es - abgesehen von meinem Mann - ganz klar: die Frauen in meinem Leben. Meine Freundinnen. Ohne die ich wohl früher oder später wahlweise abgehauen, durchgedreht oder zusammengebrochen wäre. In dieser oder einer anderen Reihenfolge.  Meine Freundinnen sind mein Fels in der Brandung. Mein Punching Bag. Meine Klagemauer. Es sind Mütter von älteren, aber auc...

Die Hormonhölle

  Wer mich bzw. Rabenmutter (Blog und Buch) noch nicht kennt, braucht für diesen Text eine kurze Orientierung: Bei Sassines sind wir 2 Männer (Vater und Sohn, 21) und zwei Frauen (Tochter, bald 17, und ich). Soviel zur Demografie des Hauses. Als mein Sohn in die Pubertät kam, gab es schwierige Zeiten. Wir sind uns sehr ähnlich, will heissen, wir sagen, was ist. Sowohl im Positiven, wie aber auch im Negativen. Wenn uns also etwas nicht passt, meckern wir genauso, wie wir spontan «Ich liebe dich» sagen können. Jedoch gab es Zeiten, da war es kein meckern mehr, vielmehr gingen wir uns regelmässig an die Gurgel mit ausgewachsenen Wutanfällen, die einem Orkan ähnelten. Sowohl in der Kraft, als auch in der Lautstärke. Diese endeten jeweils mit einem Türenschletzen seiner- und einer Putzaktion meinerseits (Ich putze nicht gerne, ausser ich bin wütend. Meine Laune lässt sich also direkt an der Sauberkeit unseres Hauses messen.) Die anderen zwei Sassines, Vater und To...

Wenn nichts mehr geht - knapp am Burnout vorbei

Monatelang stand ich unter Strom. Dann kam der Stromausfall. Wie ich an einem Burnout vorbeirasselte… Das Hirn läuft auf Hochtouren.  Verträge aushandeln . Kuchen backen für diverse Schulevents. Den Grossen zur Töffliprüfung fahren. Hat mein Mann jenen Termin gesehen? Nochmal überprüfen. Die Grossmutter zum Arzt begleiten. Schon wieder ein Mail von diesem Geschäftspartner, dessen niveauloser Ton an Trump erinnert. Und noch ein Problemfall mit Kunden, den wir zwar nicht verschuldet haben, aber ausbaden müssen. So sahen meine letzten Monate aus. Eure vielleicht auch.   Weiterlesen auf Any Working Mom. ( Photo by  Dingzeyu Li  on  Unsplash )