Slow Family? Chill's mal!
«Slow» irgendwas, wo man hinschaut. Ein Buch will uns das Rezept für die «Slow Family» geben. Wieso das Quatsch ist.
«Sieben Zutaten für ein einfaches Leben mit Kindern». Doch doch, ihr habt richtig gelesen.Da steht «einfach» und «Kinder» im selben Satz. «Slow Family» nennt sich der neue Stern am Erziehungsratgeberhimmel. Die Autorinnen propagieren darin die Entdeckung der Langsamkeit im Alltag, die familiäre Entschleunigung. «Slow» klingt immer gut. Entspannt, easy-peasy, nach wenig Aufwand und in der heutigen stressigen Zeit auch durchaus vernünftig. Doch kann man als Familie überhaupt «slow» leben?
Ich musste letzten Sommer schon schmunzeln, als in der NZZ ein Artikel zu «Slow Travel» erschien. Darin beschrieb die Autorin, wie sie versucht hatte, möglichst ohne Druck und Stress eine Familienreise zu organisieren und anzutreten. Es ist ihr nur mässig gelungen. Was als idyllische Reise ohne konkretem Ziel begann, endet so: «Wir haben keine Ahnung, wo es schön ist (weil wir keinen Reiseführer gelesen haben). Das Auto gleicht einer neapolitanischen Müllhalde, die Lebensmittel in der Kühlbox sind verdorben, und wir wollen nichts sehnlicher als ankommen. Doch es scheint wie verhext, die einen Campingplätze, die hier Auto-Camp heissen, sind voll. Die anderen haben keinen Schatten oder sind an der Schnellstrasse. Obwohl wir während der ganzen Reise keine Stunden oder Kilometer gemessen haben, rechneten wir, bei der Abfahrt in Italien am frühen Morgen, mit nicht mehr als einer Fahrt von drei Stunden. Am Ende fahren wir bis zum Abend in der Gegend umher.» Klingt nicht sonderlich entspannt, finde ich.
Beim Lesen dieses Artikels und beim Durchblättern von «Slow Family» (nicht dieselben Autorinnen) frage ich mich immer wieder: Wozu? Wozu sich vornehmen, es langsam anzugehen? Um dann dennoch nach einem Fahrplan einen auf «Slow» zu machen? Ist es nicht genauso stressig, wenn man unbedingt möglichst wenig machen soll? Möglichst wenig Gepäck mitnehmen, möglichst achtsam leben, möglichst unkompliziert kochen – aber bitte bio und «slow» - und natürlich die Kinder möglichst wenig unter Druck setzen, dafür aber «Zauber» in ihr Leben bringen? Was ist daran entschleunigend?
Wir werden als Familie oft gefragt, wie wir das gemacht hätten, dass wir bspw. am Wochenende seit einigen Jahren schon ausschlafen und sich die Kids selber beschäftigen. Oder wie das geht, dass beide Kinder gerne am Strand rumliegen und lesen. Auch gehören wir zu den Vielreisenden, die jedes Mal sehr viel weniger von einem Land sehen, als andere, die täglich Kilometer auf sich nehmen, um das GANZE Land zu sehen. Wieso das so ist? Seit «Slow Family» habe ich mir das überlegt und komme zu einem ziemlich ernüchternden Schluss: Weil wir faul sind. Sooo faul. Als Familie, als Reisende, als Köche.
Bei uns scheint alles so unkompliziert, weil wir keine Lust auf Anstrengung haben. Weder beim Reisen, noch beim Kochen und schon gar nicht in der Erziehung. Seit Social Media scheint es mir nämlich noch frappanter: Während andere Familien am Wochenende in die Berge, Vergnügungs- und Aquaparks der Schweiz fahren, liegt die Familie Sassine im Garten rum. Wenn die Kids genug davon haben, gehen sie raus und spielen mit anderen Kindern (sofern diese nicht in den Bergen, Vergnügungs- oder Aquapark sind). Das Höchste der Gefühle ist ein wenig Gartenarbeit oder sonst etwas, das es zu flicken oder zu erledigen gibt. Manchmal raffen wir uns sogar dazu auf, mit den Kids Karten zu spielen. Bis sich diese sicher wieder auf den Liegestuhl legen wollen. Velotouren oder Wanderungen gibt es bei uns auch, aber das gehört zu den seltenen Ausflügen. So ist es für unsere Kinder schon ein riesiges Highlight wenn wir zu Freunden fahren, die einen Pool haben.
Ob ich ein schlechtes Gewissen habe? Ja, manchmal. Andere Kinder unternehmen viel mehr. Wir kompensieren das in den Ferien (wofür hat man denn ein Reisebüro?) und sind dann öfter unterwegs. Aber auch da: Während andere in zwei Wochen alles, jede Sehenswürdigkeit, jeden Fun-Park und jeden Strand erkunden, bereisen wir gerade mal einen Bruchteil eines Landes. Und kommen zurück nach Hause mit Lust auf mehr.
Mein Fazit? Faul sein macht aus einer Familie eine «Slow Familie».Ausserdem spart es Geld und Nerven. Ob ich ein Buch darüber schreiben werde? Nein, dazu bin ich eben auch zu faul.
Buch «Slow Family – Sieben Zutaten für ein einfaches Leben mit Kindern». Julia Dibbern, Nicola Schmidt: Slow Family. Beltz, 2017. Ca. 23 Fr.
Dieser Artikel erschien erstmals auf wireltern.ch
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