Sau(g)stress
So sieht wohl der Kompromiss aus... |
Diese Woche ist Weltstillwoche. Ja, und?
Unter den vielen Fragen, die sich eine werdende Mutter stellt, ist die Frage „Stillen: ja oder nein?“ mit die schwierigste. Dank stillfreundlicher Krankenhäuser und Stillverbänden ist die Entscheidung für das Nichtstillen verpönt. Mit einem Ja zum Stillen ist es aber auch nicht getan. Sofort ergeben sich weitere Frage: Wie lange? Ausschliesslich? Nach Rhythmus oder Bedarf? Der heutige Stillzwang und die damit verbundene Wissenschaft erzeugen einen unglaublichen Druck. Sie lösen eher Angst vor dem Stillen aus, als dass sie einen ermutigen. Was uns als himmlischer, natürlicher Zustand verkauft wird, der vor inniger Zweisamkeit und Gesundheit nur so strotzt, sieht in der Realität oft ganz anders aus: Die Mehrheit der Mütter versucht am Anfang zu stillen, aber nicht alle stillen ihr Kind in den ersten sechs Monaten ausschliesslich. Wieso eigentlich?
Vielleicht bringt sie die Enttäuschung darüber, dass es nicht auf Anhieb klappt, dazu, es lieber ganz sein zu lassen. Oder es geht schlicht und ergreifend nicht. Ich habe eine Freundin, die wenige Tage nach der Geburt mit einer Brustentzündung wieder ins Krankenhaus musste, wo man trotz ihres hohen Fiebers und grässlicher Schmerzen insistierte, sie solle nicht aufgeben und es weiterhin versuchen. Noch heute denkt sie, sie habe versagt, als sie Tage danach eben doch „aufgab“. Eine andere Freundin glaubt noch heute, eine schlechte Mutter zu sein, weil sie damals aufgehört hat zu stillen. Sie konnte das Rauchen nicht lassen und hat sich deswegen für Pulvermilch entschieden. Dass man diesen Frauen einreden will, ihre Kinder seien schlechter dran als gestillte, ist eine Frechheit! Dann müssten die Kinder der Siebzigerjahre – in denen Stillen unpopulär war – eine ausserordentlich bemitleidenswerte, ungeliebte (Stillen fördert die Verbindung zwischen Mutter und Kind), übergewichtige, von Allergien geplagte Generation darstellen. Es wäre interessant, das mal zu erforschen …
Ich hatte mich für das Stillen entschieden – und konnte glücklicherweise beide Kinder problemlos stillen. Ich hätte aber auch nicht lange rumgefackelt, wenn es nicht geklappt hätte. Wer jetzt glaubt, ich sei deshalb offiziell eine gute Mutter, der wird enttäuscht: Ich habe meine beiden Kinder nur je fünf Monate gestillt. Wieso? Weil ich oben erwähnte Punkte (Schmerzen, Müdigkeit, Abhängigkeit) einfach satt hatte. Das würde ich gegenüber den meisten Supermamis natürlich nie zugeben, denn für sie hätte ich dann genauso gut gar nicht erst stillen brauchen. Alles unter sechs Monaten gilt nicht, sozusagen.
Können wir nicht einfach froh sein, dass es verschiedene Möglichkeiten gibt und Babies auf alle Arten satt werden können? Das einzig Wichtige ist doch, zu sehen, wie dein Kind trinkt, friedlich einschläft und gedeiht. Egal, woher die Milch kommt.
Dieser Text stammt aus meinem Buch: «Rabenmutter. Die ganze Wahrheit über's Mutterwerden und Muttersein», erschienen im Verlag Walde + Graf.
Weitere Infos zu Autorin und Buch hier.
Kommentare
Bei meinem ersten Sohn habe ich genau 6 Monate voll gestillt und dann langsam zugefüttert, bei meinem Zweiten - eine Tochter - hatte ich nach 5 Monaten "die Nase voll" und fing an zuzufüttern.
Bei meinem Dritten war dann alles ganz anders. Er kam mit einer Lippen-Kiefer-Gaumen-Spalte auf die Welt. Als ich ihn nach der Geburt anlegen wollte hat mich die Hebamme mit grossen Augen angeschaut. Ich sagte: "Wir versuchen es! Wenn´s nicht klappt können wir immer noch umschwenken!" Und siehe da, es hat geklappt! Milcheinschuss wie gewohnt. Leider kam mein Sohn nicht an die nahrhafte Hintermilch und so musste ich nach drei-wöchigem Stillen "geschlagen" geben. Ich besorgte Apatmil und eine spezielle Trinkflasche. Es war schön zu sehen wie er jetzt ohne grosse Mühe satt wurde! Ich war froh, dass ich ihn wenigsten drei Wochen stillen konnte...wenigstens hat er das Kolostrum abbekommen.
Jedenfalls ein echt schöner Text und ein tooles Bild dazu!
Aus persönlicher Sicht kann ich noch anfügen, dass mir das Wort "Stillzwang" langsam aber siccher zum Hals raus hängt. Die Mehrzahl der Mütter in der Schweiz stillt nicht, bzw. nicht länger als ein paar Wochen. Wo also ist der Zwang?
Sich jedoch nachträglich darüber beschweren, dass andere Leute die eigenen Entscheidungen nicht gut finden, finde ich eigenartig. Entweder bin ich von dem überzeugt, was ich tue, oder dann sollte ich was anderes tun. Aber gegen seine Überzeugung freiwillig etwas anderes tun und dann doch andere die Schuld dafür geben finde ich arg merkwürdig. Aber es ist modern, man findet es nicht nur beim Stillthema sondern durchaus auch bei anderen Themen an.
(und wenn jemand einem reinreden will, hat übrigens ein freundlich, aber bestimmtes "sorry, aber das geht dich nichts an" schon manches Gespräch im Keim erstickt. Wenn man hinter seiner Entscheidung steht, braucht man sich auch nicht zu rechtfertigen)
Sie hat mir gesagt, sie würden öfter über die Problematik von Müttern diskutieren, die sich quasi zum Stillen "genötigt" fühlten. Fakt ist: Solange eine Mutter der Beraterin sagt "eigentlich möchte ich Stillen, aber es geht nicht..." wird nach Lösungen gesucht und Vorschläge gemacht. Wenn jedoch dieselbe Frau sagt "ich will nicht weiter probieren, sondern möchte dass Sie mir beim Abstillen helfen" dann wird dieser Wunsch respektiert.
Anders ausgedrückt: Eine Stillberaterin kann nicht in den Kopf einer anderen Person hinein sehen. Wenn eine Mutter nicht stillen will und dies auch sagt, dann wird das respektiert. Aber wenn eine Frau sagt "eigentlich möchte ich, aber...", dann wird das als Wunsch zu Stillen interpretiert und ebenfalls akzeptiert.
Etwas kann halt wirklich niemand einer Mutter oder sonst einer anderen Person abnehmen: Sich informieren, eine Entscheidung treffen, was sie will und was nicht, und diese Entscheidung dann zu kommunzieren. Man man versucht, es allen anderen recht zu machen, kommt man selber zu kurz!