Nicht jede Mutter ist die Beste

Gehören Mütter nicht in wirtschaftliche Führungspositionen? Ist es die biologische Bestimmung des Weibes, nur für den eigenen Nachwuchs da zu sein? Erstaunlich, wie unlogisch die Weltwoche argumentiert. Die Rolle der leiblichen Mutter bei der Erziehung wird krass überschätzt. Von Julia Onken für die Weltwoche

Die ABB-Chefin Jasmin Staiblin hat sich erlaubt, ausgerechnet in einer schwerwiegenden Wirtschaftskrise schwanger zu werden und in Mutterschaftsurlaub zu gehen. Darf sie das? Ja, sie muss dürfen können, dröhnt es empört nicht nur von der feministischen Liga. Nein, sie darf nicht, kontert die Gegenseite, denn «der Kapitän gehört im Sturm auf die Kommandobrücke».

Auf den ersten Blick klingt das durchaus einleuchtend: Es geht wahrlich nicht, sich aus der Verantwortung abzumelden. Und trotzdem gleicht die Argumentation einem aufgescheuchten Kaninchen auf der Jagd, das verzweifelt Haken schlägt.

Es geht wieder einmal um die Frage nach der biologischen Bestimmung des Weibes. Mit dem Mutterwerden sei ihr Tätigkeitsbereich naturgegeben und deshalb vorgezeichnet und klipp und klar abgesteckt. Frauen, die Kinder haben wollen, gehörten nicht in Führungspositionen, sondern an den Wickeltisch. Es sollte endlich Schluss sein mit der «Fünfer und Weggli»-Mentalität. Das Wohl des Kindes stehe doch im Vordergrund, und dieses gedeihe nur gut, wenn es in der pausenlosen Fürsorge einer emotional warmen Mutter-Kind-Beziehung eingebettet sei. Zudem müssten «sich Frauen bewusst sein, dass die Rolle der Mutter die wichtigste und exklusivste Rolle ihres Lebens ist» (Roger Köppel).

Wenn kluge Männer unklug denken

Wenn Eva Herman sich in abstruses Gedankengut versteigt, mag das noch angehen. Schliesslich hat das Leben sie ziemlich durchgebeutelt da kann es zu einem Kurzschluss im Hirn kommen. Wenn aber ein Denker wie Roger Köppel, dessen Markenzeichen schnörkellose und vor allem logische gesellschaftspolitische Analysen sind, sich in unlogischen Argumentationen verfängt, dann ist dies eine ernstzunehmende Angelegenheit. Mag sein, dass die bevorstehende Vaterschaft zur romantischen Verklärung der Mutterrolle verführt. Aber hier scheint Schillers «Glocke» (1799) Alarm zu schlagen:

[. . .] Und drinnen waltet
Die züchtige Hausfrau,
Die Mutter der Kinder,
Und herrschet weise
Im häuslichen Kreise,
Und lehrte die Mädchen
Und wehret den Knaben
Und reget ohn Ende
Die fleissigen Hände,
Und mehrt den Gewinn
Mit ordnendem Sinn.

Wenn kluge Männer unklug argumentieren, muss ein triftiger Grund dahinterstecken, hier wird er benannt: Die Mutterschaft ist ein Rund-um-die-Uhr-Job. Denn damit landen die meisten Frauen in einem Einpersonenunternehmen, mit ihnen als alleiniger Arbeitskraft. Mutterschaft impliziert die familiäre Dienstleistung aller Art. Da ist die Betreuung, Umsorgung und Pflege des Kindes, die Zuständigkeit für den Putz-, Wasch- und Kochservice sowie Verrichtungen der Krankenpflege. Wenn Kinder grösser werden, gehören Chauffeurdienste für aushäusige Aktionen wie Musik-, Sportunterricht und sonstige Förderprogramme zum Pflichtenheft. Auch Hilfestellung bei Hausaufgaben sowie animatorische Aktivitäten für die Freizeit gehören zum Mutteramt.

Die zeitliche Beanspruchung ist mit derjenigen einer Führungsperson vergleichbar. Während der berufliche Einsatz in der Wirtschaft in der Regel mit gesellschaftlicher Anerkennung quittiert wird, bleibt das Morgenständchen des Dorfmusikvereins am Muttertag für die meisten die einzige Würdigung für ihren Jahraus-jahrein-Einsatz. Während eine im wirtschaftlichen Bereich tätige Person via Rentenansprüche usw. bis an das Lebensende ausgesorgt hat, fängt die Sorge um die Existenz bei vielen Frauen dann an, wenn der Mann – aus welchen Gründen auch immer – jäh von Bord geht und die Frau als havariertes Mutterschiff ohne Besatzung durch die Wellen kreuzt. Schliesslich wird jede zweite Ehe geschieden.

Das grösste Armutsrisiko für die Frau besteht, wenn sie alleinerziehend ist. Zudem: Ein Drittel der geschiedenen Väter bezahlen ihre Alimente pünktlich, ein Drittel unregelmässig und ein Drittel überhaupt nicht. So ist die Mutterschaft nicht nur als die «wichtigste und exklusivste Rolle im Leben einer Frau» zu verstehen, sondern gleichzeitig auch als die risikoreichste. Wichtig allerdings ist ihr Einsatz für den Mann. Wäre die Frau nicht rund um die Uhr zu Diensten, müsste er im Haushalt selbst Hand anlegen. Und – so viel ist inzwischen bekannt – sein Einsatz hält sich in Grenzen. So wird auch das Motiv für die Verherrlichung der Mutterrolle transparent: Je mehr sich Frau mit der Rolle der Mutter identifiziert – «Und reget ohn Ende / Die fleissigen Hände [. . .] Und ruhet nimmer» –, umso grösser der männliche Freiraum zur Umsetzung seiner Interessen und der beruflichen Karriere.

Das Argument, es gehe schliesslich um das Wohl der Kinder, ist ebenfalls falsch. Es gibt zweifellos Frauen, deren höchstes Glück darin besteht, von einer eigenständigen beruflichen Laufbahn abzusehen, um sich ganz und gar der Familienarbeit zu widmen. Sie verrichten ihre Arbeit mit viel Freude und Hingabe. Die Tätigkeit entspricht ihren Neigungen und Begabungen. An einer solchen Entscheidung gibt es nichts zu rütteln – wenngleich die Sorge um die wirtschaftliche Absicherung im Hintergrund bestehen bleibt. Andere sehen in einer Kombination von Familie und Beruf (meist Teilzeitarbeit) ein geeignetes Modell. Aber es gibt auch Frauen, die sowohl in der Erziehungsaufgabe als auch in der Familienarbeit keine Befriedigung finden. Ihr Interessengebiet liegt nicht im familiären Dienstleistungsbereich. Sie sind kreuzunglücklich und fühlen sich in keiner Weise wohl in ihrer Haut. Alles in ihnen drängt danach, ihre Fähigkeiten in anderen Berufsbereichen einzubringen, sie möchten Aufgaben übernehmen, wo sie Verantwortung für die Gestaltung in Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur tragen! Sie möchten dort ihre Kompetenzen einsetzen, wo sie auch etwas zu bieten haben! Aber sie wünschen sich gleichzeitig auch eine Familie mit Kindern. Was ist daran so verwerflich?

Schliesslich wählen die meisten Männer dieses Modell, und niemand kommt auf die Idee, sie auf das biologische Programm festnageln zu wollen. Der männliche Beitrag bei der Zeugung eines Kindes beträgt immerhin die Hälfte. Somit müsste er ja auch hinterher mit fünfzig Prozent operativem Einsatz im Kinderzimmer in die Pflicht genommen werden.

Gebären ist nicht gleich erziehen

Ist es nicht auch für Frauen ein Menschenrecht, an allen möglichen Lebensbereichen vollumfänglich zu partizipieren? Weshalb sollten Frauen nur jene beruflichen Perspektiven in Angriff nehmen, die es ihnen erlauben, mit der einen Hand – so nebenbei ihrer beruflichen Tätigkeit nachzugehen und mit der anderen Hand die Familienarbeit auszuüben?

Die Tatsache, dass Frauen Kinder gebären können, heisst noch lange nicht, dass sie begabte Erzieherinnen sind. Nicht wenige geraten an die Grenzen ihrer Möglichkeiten, wenn sie sich den ganzen Tag mit einem Kind beschäftigen müssen. Sie wären vielleicht grossartige Bildhauerinnen, aber für die Bastelarbeit mit Klo-Rollen haben sie zwei linke Hände. Sie würden vielleicht als Wissenschaftlerinnen beachtenswerte Leistungen erbringen, aber um den Schüttelreim eines Kinderliedes x-mal zu wiederholen, fehlt ihnen die Geduld.

Wenn uns das Wohl der Kinder tatsächlich am Herzen liegt, dann sollte man nur das Beste für die Kinder ins Auge fassen. Es gibt Mütter, da wünscht man sich, dass sie sich in jenen Bereichen betätigen, die ihnen tatsächlich mehr entsprechen, als sich auf die Welt eines Kindes einzulassen. Da genügen Feldstudien beim Warten an der Kasse im Supermarkt, wenn einem Mutter-Kind-Dialog beigewohnt werden kann. Da stelle man sich ernsthaft die Frage: «Würde ich das Kind dieser Frau sein wollen?» Nebenbei bemerkt, die Frage darf auch ruhig in Bezug auf die Väter gestellt werden. Und plötzlich werden Nietzsches Worte bildhaft vor Augen geführt: «Welches Kind hätte nicht Grund, über seine Eltern zu weinen.»

Es geht nicht darum, qualifizierten Top-Frauen das Kinderkriegen ausreden zu wollen, sondern darum, grundsätzlich umzudenken und den Mythos «Mutter ist die Beste» endgültig zu verabschieden. Die Mutter kann für das Kind tatsächlich das Beste sein, aber es trifft nicht für alle Kinder zu. Wenn Mütter unglücklich sind, wird sich ihre Stimmung auf das Kind übertragen, es wird quasi unbewusst Schuldgefühle mit der Muttermilch aufnehmen. Es spürt, dass es für die Mutter mehr Last als Freude ist. Da wäre es besser, wenn sich Menschen um es kümmern würden, die sich als Bezugspersonen eignen, weil sie ihm emotionale Zuwendung, kontinuierliche Verlässlichkeit und Liebe zu geben vermögen. Damit jedes Kind die Erfahrung macht, geliebt, gewollt und begleitet zu sein, damit es spürt: «Es ist schön, dass es mich gibt.» Dies ist die beste Voraussetzung, um sich den Begabungen und Interessen entsprechend zu entfalten.

Im 21. Jahrhundert muss es zur selbstverständlichen Sache der Welt gehören, dass gezielt ausgebildete Personen Betreuungsaufgaben übernehmen, sich mit viel Liebe und Einfühlung um das Wohl des Kindes kümmern, während die Mutter ihren Dienst auf der Kommandobrücke versieht, dort, wo sie stark und kompetent ist. Dies ist das Beste für Mutter und Kind!

Anmerkung der Redaktion rabenmutter.ch: Danke, Julia!

Die Psychologin Julia Onken hat mehrere Bücher und Essays zur Rolle der Frau verfasst, darunter auch «Hilfe, ich bin eine emanzipierte Mutter – Ein Streitgespräch zwischen Mutter und Tochter».

Kommentare

Unknown hat gesagt…
Wenn aber ein Denker wie Roger Köppel, dessen Markenzeichen schnörkellose und vor allem logische gesellschaftspolitische Analysen sind, sich in unlogischen Argumentationen verfängt, dann ist dies eine ernstzunehmende Angelegenheit.

Solche denker wir roger koeppel sind halt nur schnoerkellos und logisch wenn es leutchen wie ihnen in den kram paszt !

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